UA Paris 1881 / Wien 1882
In einer Berliner Studentenkneipe erzählt Hoffmann von den drei Frauen seines Lebens – oder waren es drei Facetten nur einer Frau? Eigentlich wollte er in der Oper die berühmte Stella (als Donna Anna) erleben, aber er hielt es dort nicht aus. Mit Trinken und dem Lied vom hässlichen Zwerg Kleinzack betäubt er seinen Schmerz. In der Kneipe mit anwesend sind zwei Figuren, die von den Studenten nicht wahrgenommen werden: Niklas, Hoffmanns zweites Ich, seine innere Stimme und Muse – und sein Widersacher. Dieser wechselt in jeder Szene die Gestalt: Hier sitzt er als Stadtrat Lindorf einen Tisch entfernt und hat bereits einen Brief Stellas an Hoffmann (mit ihrer Bitte um ein Treffen) abgefangen.
Die drei Facetten einer Frau sind: Puppe, Künstlerin und Kurtisane. Olympia ist ein Roboter, Antonia, Sängerin, ist schwindsüchtig, Giulietta ist Werkzeug eines Venezianischen Bravos. In allen drei Geschichten sorgt der Widersacher für Unglück: Als Erfinder Coppelius verkauft er Hoffmann eine rosarote Brille, mit der dieser Olympia für ein lebendes Wesen hält, dann zerschlägt er die Puppe und gibt ihn dem Spott preis. Als Arzt Dr. Mirakel zwingt er Antonia, die die Stimme und die Krankheit ihrer Mutter geerbt hat, mit hypnotischer Magie zum Singen: Er lässt sie die Stimme ihrer toten Mutter hören; Antonia singt ihr nach, gerät in Fieber und stirbt – Hoffmann verliert sein Lebensglück. Als Zuhälter Dapertutto setzt der Widersacher Giulietta auf Hoffmann an: Er soll für ihre Gunst mit seinem Schatten bezahlen (ihr und ihm verfallen). Als ein (schon schattenloser) Nebenbuhler ihn herausfordert, tötet Hoffmann diesen im Duell und muss fliehen.
Nach ihrer Vorstellung erscheint Stella im Lokal, aber der berauschte Hoffmann erkennt sie nicht – oder doch? Sind Sie Olympia? Antonia oder Giulietta? Stadtrat Lindorf bietet der Empörten den Arm und geht mit ihr ab.
Erster möglicher Schluss der Oper: Hoffmann und die Studenten verhöhnen die beiden mit dem Refrain des Liedes von Kleinzack.
Zweiter Schluss: Die Studenten ziehen grölend ab, Hoffmann bleibt allein zurück – nur seine Muse tröstet ihn.
Dritter Schluss: Alle Anwesenden huldigen Hoffmann – sind sie doch Geschöpfe seiner Fantasie!
Die Entstehung der Oper könnte eine Erzählung von E. T. A. Hoffmann sein: Der sechzigjährige, kranke Offenbach wollte sich vor seinem Tod noch den Wunsch erfüllen, eine romantische (und womöglich deutsche) Oper zu schreiben. Er luchste einem Kollegen das Libretto ab und stürzte sich in die Arbeit. Auf einem Hauskonzert erklangen Ausschnitte des Werkes. Paris und Wien signalisierten Interesse, verlangten aber Änderungen: Für Paris die Hauptrolle bitte als Tenor statt als Bariton, für Wien bitte Rezitative statt Dialoge! Der Librettist erfand ständig neue Varianten – wie die drei Schlüsse! Offenbach starb zwischen einem Wust von Skizzen. Ernest Guiraud ordnete und instrumentierte das Werk. Die Premieren in Paris und Wien wurden umjubelt. Danach verschwanden die Skizzen auf mysteriöse Weise und tauchen – noch heute! – allmählich wieder auf: Wissenschaftler und Verlage wittern noch posthum das große Geschäft.
Hoffmanns Erzählungen ist ein Fragment – das vollendetste Fragment der Opernliteratur!
(Mathias Husmann)