Es kann durchaus angenehm sein, wenn am Ende eines ausschweifend erheiternden Musiktheaters voller Irrungen, Wirrungen, Maskeraden und Verwechslungskomik nicht die große Moralkeule lauert. Vielmehr ist man sich im nachhallenden Taumel des nächtlichen „Fledermaus“-Deliriums einig: Der Champagner ist schuld, der behuldigte „König aller Weine“, auf dessen prickelndem Grund auch so manches Mal die Wahrheit liege. Tja, was soll man machen …
Mit seiner 1874 am Theater an der Wien uraufgeführten „Fledermaus“ führte Walzerkönig Johann Strauss (Sohn) die damals noch recht junge Gattung der Wiener Operette zu einem Höhepunkt. Die sprühenden Melodien, der pointierte Witz und der leichtlebige Stoff, der trotz zunächst seicht unterhaltend scheinender Oberfläche einiges an gesellschaftskritischem Tiefgang enthält, machen dieses Werk unsterblich. Bis heute gilt „Die Fledermaus“ deshalb mitunter auch als die Operette schlechthin, findet vor allem zum Jahreswechsel und zur Faschingssaison regelmäßigen Einzug auf den Spielplänen der kleinen und großen Opernhäuser – auch international.
„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“
Das Libretto, das vor allem durch kecke Ironie und immerwährende Binsenweisheiten sowie durch das zugrundeliegende Schopenhauer’sche Motto „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ besticht, basiert auf dem Vaudeville „Le Reveillon“ von Henri Meilhac und Ludovic Halévy. Der deutsche Dramatiker Karl Haffner überarbeitete zunächst das französische Stück, der Kapellmeister und Komponist Richard Genée, der später auch zu der grandiosen Musik seinen Anteil beitragen sollte, brachte es schließlich in die operettentaugliche Form.
Trotz der komplex scheinenden Verwechslungsthematik, bei der jeder der Protagonistinnen und Protagonisten mittels Verkleidung vorgibt, jemand anderes zu sein, lässt sich die Handlung gut verfolgen; sicherlich auch dank immer wieder eingebundener gesprochener Szenen. Der Werktitel dagegen kommt ein wenig irreführend daher, ist doch die namensgebende „Fledermaus“ eigentlich nur ein hintergründiges Phänomen, das das eigentliche Geschehen um eine zusätzliche, vorangegangene Handlungsebene erweitert: In der Vorgeschichte nämlich hat Gabriel von Eisenstein seinem Notar Dr. Falke nach einer durchzechten Ballnacht einen Streich gespielt, bei dem er diesen als Fledermaus verkleidet betrunken durch die Straßen irren ließ – natürlich zur Belustigung aller Leute. Dass das gesamte Geschehen der Operette nun auf dem Racheplan des fortan Dr. Fledermaus gerufenen Notars beruht, kommt als Pointe erst ganz am Schluss des Werks zutage – ursprünglich sollte der Titel deshalb auch „Rache der Fledermaus“ lauten.
Als feiere die Operette ihre eigene Gattung
Eigentlicher Höhepunkt der „Fledermaus“ ist jedoch die Szene, in der Graf Orlofsky eine rauschhaft-dekadente Party schmeißt. Die komplette, gut dreißigköpfige Besetzung plus Chor findet sich da auf der Bühne ein. Unabhängig von der jeweiligen sozialen Stellung hat jede dieser Figuren Dreck am Stecken: Gabriel von Eisenstein erwartet eigentlich eine Haftstrafe und wurde nur vom rachetreibenden Notar Dr. Falke überredet, das Fest zu besuchen. Dort flirtet Ersterer „versehentlich“ mit seiner eigenen Frau Rosalinde, die sich als ungarische Gräfin ausgibt und die ihrerseits ein Verhältnis mit ihrer Jugendliebe Alfred hat. Alfred wiederum wurde schon am Morgen verhaftet, da er fälschlicherweise für Eisenstein gehalten wurde.
Der verantwortliche Gefängnisdirektor treibt sich getarnt als Chevalier Chagrin ebenfalls auf dem Fest herum, genauso wie das lügenfixe Dienstmädchen Adele alias Küstlerin Olga (die Rolle ist ein Inbegriff des Soubrettenfachs). Vor diesem Hintergrund feiert, verbrüdert und flirtet man, was das Zeug hält, die Stränge verwirren, verknoten und entzerren sich nach einigem Drunter und Drüber letztlich wieder, und alles versöhnt sich. Die Sprechrolle Gerichtsdieners „Frosch“, der, selbst noch angeheitert vor wilden Treiben, am nächsten Morgen über die Geschehnisse der Nacht berichten muss – meist tut er dies mit jeweils angepasstem Aktualitäts- und Spielortbezug –, entwickelte sich dabei zur Kultfigur, die häufig von bekannten Schauspielern oder Kabarettisten übernommen wird.
Es ist, als feiere die Operette ihre eigene Gattung, und das mit höchsten sängerischen, künstlerischen und auch schauspielerischen Ansprüchen, woran natürlich die leichtlebige, eingängige, aber in der Umsetzung höchst anspruchsvolle Musik einen enormen Anteil hat. Johann Strauss verfasste einen Großteil wohl innerhalb von 42 Tagen in seiner damaligen Wohnung in der Maxingstraße 18 in Hietzing (heute Wien). Er komponierte in erster Linie die Melodien, Teile der Instrumentierung ließ er von seinem Librettisten Richard Genée vornehmen. Vollständig aus der Feder von Strauss stammen jedoch die berühmte Ouvertüre und der feurige Csárdás, die zu den beliebtesten und bekanntesten Werken der Klassik überhaupt gehören – klingende Aushängeschilder der großen Wiener Musik-, Walzer- und Operettenkultur. Weitere bedeutende Nummern und Höhepunkte aus „Die Fledermaus“ sind u. a. das Uhren-Duett (Rosalinde/Gabriel von Eisenstein), die Arie „Mein Herr Marquis“ (Adele) und der Chorwalzer „Brüderlein und Schwesterlein – Du und du“.
Die wichtigsten Fakten zu „Die Fledermaus“ von Johann Strauss (Sohn):
Libretto: Karl Haffner, Richard Genée
Personen:
Gabriel von Eisenstein (Tenor)
Rosalinde, Gabriels Frau (Sopran)
Frank, Gefängnisdirektor (Bass)
Prinz Orlofsky (Mezzosopran)
Alfred (Tenor)
Dr. Falke, Notar (Bariton)
Dr. Blind, Advokat (Tenor)
Adele, Kammermädchen (Sopran)
Ida, ihre Schwester (Sopran)
Frosch, Gerichtsdiener (Sprechrolle, Komiker)
Gäste des Prinzen (Chor)
Ballett
Orchesterbesetzung:
2 Flöten (2. mit Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Schlagzeug, Streicher
Spieldauer: ca. 2,5 Stunden
Uraufführung: 5. April 1874, Theater an der Wien
Referenzeinspielung
J. Strauss: Die Fledermaus
Karl Böhm (Leitung), Otto Schenk (Regie),Wolfgang Windgassen, Otto Schenk, Renate Holm, Eberhard Waechter, Gundula Janowitz, Erich Kunz, Wiener Staatsopernchor,
Gerade ein Werk wie „Die Fledermaus“ gewinnt in ihrer Komik auch durch die visuelle Ebene, weshalb sich der heimische Konsum mittels DVD anbietet. Ein Klassiker in Ton und Bild ist sicherlich die in Haupt- und Nebenrollen großartig besetzte Aufnahme der Wiener Philharmoniker unter Karl Böhm in der Inszenierung von Otto Schenk aus dem Jahr 1972.