Ein Starpianist war Lars Vogt nicht, jedenfalls nicht im Sinne eines Virtuosen, der „Magnetketten in die Massen wirft“, wie Robert Schumann es formulierte. Lars Vogt war einer, dem es nicht auf den schönen Schein, den „zirzensischen Effekt“ ankam, wie er es nannte. Kopf und Herz, Neugier und Mut und eine große Portion Bodenständigkeit im besten Sinne des Wortes, das alles machte ihn als Künstler-Persönlichkeit aus.
1970 wurde er in Düren geboren. Er blieb einer von hier, auch als er 1990 mit gerade mal zwanzig Jahren den zweiten Platz beim internationalen Klavierwettbewerb in Leeds gewann und die große weite Musikwelt sich ihm öffnete; als die Berliner Philharmoniker ihn zum „Pianist in Residence“ machten, Simon Rattle ihn zu CD-Aufnahmen lud und ein Debüt sich ans andere reihte bis hin nach New York mit Lorin Maazel. Vogts Karriere schien gemacht, doch irgendwie war das dem Sohn eines Diplomingenieurs nicht genug. Unweit seiner Heimatstadt entdeckte er das historische Jugendstilkraftwerk im Eifelstädtchen Heimbach. Hier, inmitten von Wasser, Wald und Bergen, erfüllte er sich 1998 den Traum eines eigenen Kammermusikfestivals, das er Spannungen nannte. Seitdem traf man sich hier, stets um Pfingsten herum, um gemeinsam zu musizieren: seltene wie auch bekannte Werke, Neue Musik wie auch die Klassiker der Musikgeschichte.
Viele Konzerte sind dokumentiert in Vogts umfangreicher Diskografie, die mehr als fünfzig Alben umfasst. Stets dabei: seine innigsten Kammermusikpartner wie Christian Tetzlaff, Leif Ove Andsnes oder Daniel Harding. Doch Vogt war ebenso mit dem Deutschen Symphonie-Orchester eng verbunden, außerdem Professor an der Musik-Hochschule Hannover, an der er auch studiert hatte. 2015 wurde er zum Music Director der Royal Northern Sinfonia im nordostenglischen Gateshead ernannt. 2020 übernahm er als Chefdirigent das Orchestre de Chambre de Paris. Und auch das Vermittlungsprojekt „Rhapsody in School“ ging auf ihn zurück, ein Netzwerk von Musikern, die ihre Kunst in die Schulen tragen.
Nicht selten haderte Vogt mit dem Musikbetrieb und dem zunehmenden Banausentum. Etwa wenn er, „nachdem wir tolle Musik zusammengestellt hatten“, von Labels oder Veranstaltern zu hören bekam: Where is the story? You have to tell a story! „Die Story ist doch die Musik selbst!“ Junge Künstler bekämen dies mit wie „eine zweite Haut“ beklagte er. „Die musikalische Kernaussage tritt absolut in den Hintergrund“. Bei den Stichworten „Perfektion“ und „Optimierung“ im Medienzeitalter fiel ihm seine erste Begegnung mit Simon Rattle ein. „Wir probten das Schumann-Konzert und wir hatten ein ziemlich nervöses Tempo drauf. Es gab eben nur eine Probe, die im Fernsehen aufgezeichnet wurde. Da sagte ich ihm, dass ich zwar begeistert bin über sein Tempo, ich aber nicht garantieren könne, alle Noten sauber zu spielen. Er sagte dann nur: ‚I’m so sick of all these right notes!‘“
Trotz schwerer Krebs-Diagnose im Jahr 2021 verlor Vogt nicht seinen Humor. „Ich denke oft an die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, 8 ½ davon habe ich mindestens auch gehabt“, sagte er dem Van-Magazin und lachte. Wenige Tage vor seinem 52. Geburtstag in Nürnberg erlag er nun seiner Krankheit.