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Orpheum Stiftung

Freie Entfaltung

Die Orpheum-Stiftung möchte, losgelöst vom Wettbewerbsgedanken, Musikern den Weg ins Berufsleben geben – derzeit mit einem Mammutprojekt: der Einspielung sämtlicher Instrumentalwerke Mozarts.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Das Kulturforum „Odeion“ in Salzburg-Langwied: Überall schaut es ein wenig schief aus. Die roten asymmetrischen Wände, die abgewinkelten großen Fenster, das schräge Dach, das gehalten wird von ebenfalls geneigten Röhren. Über eine gewundene Treppe geht es in den „geschützten Raum“, wie das altgriechische Odeion übersetzt heißt, in den Festsaal, der ganz in Holz und mit organisch gewölbter Decke eine hervorragende Akustik für Aufnahme-Sessions verspricht. Mögen die Salzburger Festspiele gerade in sieben Kilometern Luftlinie ihr verspätetes Hundertjahr-Jubiläum feiern – hier, am Rande Salzburgs, steht an diesem hellen Augustnachmittag der größte Sohn der Stadt auf dem Programm: Wolfgang Amadeus Mozart.

„8 Dienste à 2,5 Stunden“ sind für die Produktion der CD angesetzt. Es ist die dritte einer elfteiligen Reihe mit sämtlichen Instrumentalwerken Mozarts, von den frühen Klavier- und Violinkonzerten des Teenagers bis hin zu seinem letzten Instrumentalkonzert, dem berühmten Klarinettenkonzert KV 622a. 34 Werke an der Zahl, ein auf fünf Jahre angelegtes Mammutprojekt. Auftraggeber ist die Schweizer Orpheum-Stiftung, die sich zur Aufgabe gemacht hat, junge Talente zu fördern und ihnen Auftritte mit renommierten Klangköpern und Dirigenten wie dem Mozarteum Orchester Salzburg unter Howard Griffith zu ermöglichen.

Auf der heutigen Aufnahme-Sitzung steht Mozarts Concertone für zwei Violinen in C-Dur KV 190 auf dem Programm. Kaum siebzehn Jahre war Mozart alt, als er 1774 dieses Werk komponierte. Nicht wesentlich älter ist die Geigerin Sofiko Tchumburidze (*2000), die mit ihrer Schwester Veriko (*1996) für die heutige Einspielung als Solistinnen vorgesehen ist. Die Schwestern, die in einer georgischen Musikerfamilie an der Grenze in der südtürkischen Metropole Adana aufwuchsen, freuen sich. Konzert-Repertoire für zwei Violinen gibt es kaum, wenn man von dem Doppelkonzert von J.S. Bach absieht.

Bei dem „Mammutprojekt“ sollen sämtliche Instrumentalwerke Wolfgang Amadeus Mozarts eingespielt werden
Bei dem „Mammutprojekt“ sollen sämtliche Instrumentalwerke Wolfgang Amadeus Mozarts eingespielt werden

Beschwingt kommt Dirigent Howard Griffith auf die Bühne. Die Auseinandersetzung mit Mozart findet er sehr wichtig, „besonders bei jungen Menschen“. Mozart verlange „Disziplin, eine gute Phrasierung, einen guten Rhythmus, eine gute Intonation. Das alles unter einen Hut zu bringen und dabei lebendig zu bleiben, ist sehr schwer“. Mit manchem Künstler müsse er mehr arbeiten als mit anderen, sagt der Brite, der seit 1981 in der Schweiz lebt. „Russische oder asiatische Künstler haben ein anderes Verhältnis zu Mozart als jene, die in Deutschland oder Österreich mit dem Klassik-Idiom aufwachsen“. Mozarts Musiksprache heißt für ihn auf Denglish: „You have to put the Emotion in einen Rahmen“. Und: „Wenn man Mozart beherrscht, dann beherrscht man auch Mahler, Bruckner und vieles mehr“. Andere Sprachbarrieren wird es nicht geben, denn Griffith spricht fließend Türkisch. Er ist mit einer türkischen Bratschistin verheiratet und hat selbst in jungen Jahren in Ankara am Opernhaus gearbeitet, bevor er mit seiner Familie in die Schweiz zog. Zehn Jahre lang leitete er das Zürcher Kammerorchester (ZKO). Seit 2000 ist er unter anderem der künstlerische Leiter bei der Orpheum Stiftung, die er für „Pioniere“ hält auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung.

Bereits im Mittelalter, einer Zeit ohne Sozialgesetzbuch, gab es Stiftungen. Mildtätig wirkten sie, meist in Spitälern, die sich um die Kranken und Alten sorgten und ihren gläubigen Stiftern Seelenheil und Nachruhm versprachen. Eine solche pia causa, eine fromme Ursache, hat die Gründung der meisten Stiftungen heute nicht mehr. Es ist eher das Verantwortungsbewusstsein des Bürgers, das Bedürfnis etwas zu bewegen und die Erkenntnis, dass staatliche Budgets nicht ausreichen, um allen gesellschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen zu entsprechen – wie etwa die Förderung von jungen Musikern.

Howard Griffith findet die Auseinandersetzung mit Mozart „besonders bei jungen Menschen“ sehr wichtig
Howard Griffith findet die Auseinandersetzung mit Mozart „besonders bei jungen Menschen“ sehr wichtig

Aus der Ahnung heraus, dass es für junge hochbegabte Musiker selbst nach dem Gewinn eines renommierten Wettbewerbs oft schwierig bleibt, sich eine künstlerische Existenz aufzubauen, beschlossen 1990 eine Reihe kulturbegeisterter Unternehmer unter der Führung des Verlegers Hans Heinrich Coninx, eine Stiftung zu gründen, die sie nach Orpheus, dem Sänger der Antike nannten. „Anfangs war das gar nicht so einfach“, räumt Coninx ein. Doch seine Hartnäckigkeit zahlte sich aus. Heute freut er sich, dass viele der geförderten Musiker regelmäßig auf den bedeutenden Konzertpodien der Welt stehen, darunter Baiba Skride, Renaud und Gautier Capuçon, Alice Sara Ott, Rafał Blechacz, Truls Mørk, Nicolas Altstaedt oder Martin Grubinger.

Die Orpheum Stiftung hat ein einzigartiges Fördermodell entwickelt, das auf rein privatwirtschaftlicher Ebene finanziert wird. Hauptziel ist es, jungen Künstlern eine individuelle Plattform zu bieten, auf der sie sich entfalten können. Hier zählt nicht etwa, ob ein Musiker einen Wettbewerb gewonnen hat. „Ganz wichtig“, sagt Coninx, „sind die Vorschläge aus dem Kreis der Mitglieder unseres Kuratoriums“ – darunter namhafte Sänger, Instrumentalisten, Dirigenten und Kulturmanager wie Francisco Araiza, Daniel Barenboim, Christoph Eschenbach, Philippe Jordan, Zubin Mehta, Kristjan Järvi, Ilona Schmiel, David Zinman, Daniel Hope und viele andere. Auch der verstorbene Claudio Abbado und Mariss Jansons zählten dazu. „Sie kennen junge Solistinnen und Solisten häufig aufgrund von mehreren Begegnungen und wissen, deren Talente und Fähigkeiten sehr umfassend einzuschätzen – nicht nur in Bezug auf instrumentales Können und Musikalität, sondern auch hinsichtlich ihres künstlerischen Entwicklungspotenzials oder ihrer Bühnenpräsenz.“ Auch Bewerbungen von Agenturen oder Künstlern werden berücksichtigt, die von Howard Griffiths eingeordnet werden.

Von mehreren Hundert, die sich jährlich bewerben schaffen es vier bis acht junge Musikerinnen pro Jahr in das Förderprogramm. In Festivals und Extrakonzerten begegnen sie nicht nur den großen Maestri und Orchestern, sondern sammeln wertvolle Bühnenerfahrung. „Die eingeladenen Orchester kommen aus Moskau, aus Florenz, aus Wien“, sagt der Geschäftsführer der Stiftung Thomas Pfiffner. „Auch die Bamberger waren regelmäßig in früheren Jahren dabei.“ Seit 2016 werden die jungen Talente auch durch das Orpheum Supporters Orchestra unterstützt: achtzig Amateurmusiker, von denen viele selbst Orchestermusiker waren oder eine Solistenausbildung abgeschlossen haben, sich aber dann für eine „bürgerliche Laufbahn“ entschieden und heute vielfach Führungskräfte in der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sind.

„Orpheum hat mir ein Hauch Welt ermöglicht“: Reto Bieri
Reto Bieri Musician
Photo: Marco Borggreve

Mit Workshops wie „How to sell myself“ und „Health Check-ups“ wird das Selbstbewusstsein und die Selbstvermarktung der jungen Talente gefördert. Pfiffner, selbst ausgebildeter Pianist, sagt aber auch: „Es ist mir wichtig, junge Menschen davor zu warnen, sich auf die Suche nach einer ‚Marktlücke‘ zu machen und sich nicht mehr um das eigene Talent zu kümmern. Im idealen Fall geht man auf die Bühne und ist. Es gibt keine Alternative zur eigenen Marke“.

„Orpheum hat mir ein Hauch Welt ermöglicht“, schreibt der Schweizer Klarinettist Reto Bieri. Und der Cellist Xavier Philips grüßt: „Als ‚alter Hase‘, der große Dankbarkeit empfindet, wünsche ich der Orpheum Stiftung ein langes Leben.“ Und die Schwestern Tchumburidze freuen sich auf ihre neue Mozart CD, die ihnen als musikalische Visitenkarte weitere Türen öffnen wird.

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