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Bücherherbst – Rainer Peters: Walter Gieseking. Die Paradoxie des Vollkommenen

Staunenswerte Höchstleistungen

Annäherung an den Pianisten Walter Gieseking räumt mit Vorurteilen auf.

vonJohann Buddecke,

Es sind schwindelerregende Zahlen und Anekdoten, die über das Leben und Wirken des Pianisten Walter Gieseking überliefert sind: Ein Repertoire von dreihundert Konzerten und fünftausend Solostücken, jederzeit aus dem Gedächtnis fehlerfrei abrufbar, die Fähigkeit eine am Nachmittag flüchtig begutachtete Neukomposition abends kurzerhand als Zugabe zu spielen, dazu eine grenzenlose Belastbarkeit am Instrument und eine nachlässige Einstellung zum Üben.

Rainer Peters lässt bei seiner chronologisch aufgezeichneten Betrachtung über den Werdegang des Jahrhundertpianisten und Hobby-Insektenforschers keine dieser zum Staunen veranlassenden Höchstleistungen beiseite, liefert gleichwohl eindrückliche Hinweise auf Repertoire und Arbeitsweise und umreißt überblicksartig bedeutende Aufnahmen mit Vermerken zur Entstehung. Demgegenüber beleuchtet Peters aber auch die erbitterten Kontroversen um Gieseking nach dem Zweiten Weltkrieg, die aufgrund einer ausgebliebenen Distanzierung des Pianisten gegenüber dem NS-Regime entbrannte, schließlich zu einem erheblichen Karriereeinbruch führten und seiner Biografie bis heute anhaften.

Die präzise wie sprachgenaue Darstellung der Vorwürfe inklusive treffsicherer Parallelbezüge zu anderen Musikerkollegen mit ähnlichen biografischen Fehltritten rückt Gieseking weg von dem Bild der historisch belasteten Persönlichkeit hin zu dem Bild eines vorzugsweise in seine Kunst vertieften Musikers, der den Wert einer Komposition nicht auf die religiöse oder ethnische Zugehörigkeit des Urhebers zurückführte.

Buch-Tipp

Album Cover für Walter Gieseking. Die Paradoxie des Vollkommenen

Walter Gieseking. Die Paradoxie des Vollkommenen

Rainer Peters Wolke-Verlag, 120 Seiten 19 Euro

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