In einem Brief an den Dirigenten Hans Rosbaud äußert Arnold Schönberg 1947 den Wunsch, „dass man meine Melodien kennt und nachpfeift“. Ganz ist seine Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen. Aber ein bisschen schon. Heute trällern die Menschen in einer globalisierten Welt zwar nicht ständig zwölftönig, aber immerhin nicht bloß in Dur-Moll. Denn zugespitzt könnte man sagen: Ohne Schönberg und seine „Emanzipation der Dissonanz“ kein Free Jazz, kein dissonantes E-Gitarren-Inferno im Rock und Punk, keine Synthie-Dissonanzen im New Wave, Techno oder Hip-Hop. Ohne Schönberg natürlich kein Serialismus eines Stockhausen und Boulez, keine elektroakustische Musik und damit auch keine Klangflächen von Ligeti und Penderecki. Und dass sich heute Komponisten bei ihren Erkundungen nicht mit Fragen nach Dissonanz und Konsonanz herumplagen müssen, sondern ihre Ohren für Gestus, Textur, Dichtegrade, Raumwirkungen oder Phänomene des Halls spitzen können, verdanken sie letztlich ebenfalls Schönberg. Auch dass die westlich erzogenen Ohren empfänglicher wurden für die Klänge aus anderen Tonsystemen der Welt, für indische Ragas, arabische Maqamat oder Kehlkopfgesang der Inuit, liegt zum Teil an den vorherigen Hörerfahrungen mit den herausfordernden, reizvoll reibungsvollen Klangkombinationen der Musik Schönbergs und seiner Schüler.
Schönberg zeigte auf, dass ein Tonsystem keinesfalls irgendwie „natürlich“ verankert, sondern ein kulturell geprägtes Konstrukt ist. Klingt nach heutigen Debatten zu Machtgefüge, Herkunft, Gender? Ist im Grunde auch der gleiche Denkansatz. So visionär war Schönberg bei seiner Auflösung tonaler Hierarchien. Er selbst sah sich eher als jemand, der konsequent die Tradition, nämlich die harmonischen Ausweitungen des Dur-Moll-Systems der Spätromantik, systematisch weiterdachte, um zu neuen Ausdrucksformen zu gelangen: Er hatte zunächst mit eigenen spätromantischen Werken wie „Verklärte Nacht“, „Pelleas und Melisande“ oder „Gurre-Lieder“ einschlägige Erfahrungen gesammelt. Wenn schon die Harmonik zunehmend vieldeutig und dissonanter wird, warum nicht in letzter Konsequenz die Verhältnisse neu verfassen, ohne bindendes tonales Zentrum? So kommt es um 1910 bei Schönberg zur „Emanzipation der Dissonanz“.
Eigene DNA für jede Komposition
Als er später merkt, dass sich der intuitive Einsatz einer solchen Klangsprache zwar in hochexpressiven kurzen Stücken bewährt, dies aber schwierig als tragende Struktur für längere Werke ist, entwickelt Schönberg ab 1921 ein neues Organisationsprinzip: Er legt sämtliche zwölf Töne, die das Dur-Moll-System vorrätig hat, jeweils in einer spezifischen Reihenfolge als Ausgangsmelodielinie für ein Stück fest. Damit hat er eine feste Struktur, mit der er kreativ umgehen kann. Mit der „Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“, die heute als „Zwölftonmusik“ oder „Reihentechnik“ bekannt ist, konnte Schönberg jeder Komposition eine eigene DNA geben, die vielfache Ausprägungen und strukturelle Bezüge ermöglichte.
Dass sich sein kompositorischer Ansatz international durchsetzte, liegt nicht zuletzt an Schönbergs schöpferischer Kraft. Nämlich dass er auf der Basis seiner musiktheoretischen Überlegungen exemplarische Werke schuf, die in ihrer Farbigkeit und ihrer Prägnanz demonstrieren, wie expressiv, dramatisch, packend, berührend, ja auch verführerisch sinnlich Musik in Reihentechnik sein kann. Beispiele, die dies bestens belegen: Die „Variationen für Orchester“, die „Klavierstücke“ op. 33, die Opern „Von heute auf morgen“ und „Moses und Aron“, das Violinkonzert. Hinzu kommt sein Talent als anregender Lehrer: Seine bedeutendsten Schüler, Alban Berg und Anton Webern, trugen mit ihren Werken mindestens genauso viel zur Verbreitung der Reihentechnik bei. Das konnten zum Glück auch die Nazis nicht stoppen, vor deren Terror Schönberg als Neutöner und Sohn aus jüdischer Familie in die USA ins Exil floh.
Arnold Schönberg – längst ein Klassiker
Die Zwölftonmethode, im Fachterminus „Dodekafonie“, hat sich als erstaunlich flexibel, wandlungsfähig und nachhaltig erwiesen. So konnte etwa der spanische Schönberg-Schüler Roberto Gerhard sogar Flamenco-Skalen mit Reihentechnik verbinden. Leonard Bernstein experimentierte in „West Side Story“ für die Nummer „Cool“ mit einer Reihe im Bebop-Rhythmus. Selbst Schönbergs vermeintlicher Rivale Strawinsky (eine Polarisierung, die eher von außen auf beide projiziert wurde: hier der Zwölftöner, dort der Neoklassizist) kam in seinen späten Jahren auf den Geschmack der Reihenkomposition. Und auch in unserer Zeit sind Reihen immer noch eine Option unter vielen für Musikschaffende. Heute ist Arnold Schönberg längst ein Klassiker geworden. Das hätte diesem traditionsbewussten Visionär sicher gefallen.
Do, 23. Januar 2025 20:00 Uhr
SWR Symphonieorchester, Oscar Jockel
Boulez: Polyphonie X, Schönberg: Verklärte Nacht op. 4, Webern: Sinfonie op. 21, J. S. Bach/Webern: Fuga a sei voci aus „Das Musikalische Opfer“ BWV 1079/5
Fr, 24. Januar 2025 20:00 Uhr
SWR Symphonieorchester, Oscar Jockel
Boulez: Polyphonie X, Schönberg: Verklärte Nacht op. 4, Webern: Sinfonie op. 21, J. S. Bach/Webern: Fuga a sei voci aus „Das Musikalische Opfer“ BWV 1079/5
So, 04. Mai 2025 11:00 Uhr
So, 11. Mai 2025 11:00 Uhr
Kölner Bürgerorchester, Mariano Chiacchiarini
Chin: Neues Werk, Lachenmann: Tanzsuite mit Deutschlandlied, Schumann: Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“
Mo, 12. Mai 2025 20:00 Uhr
Kölner Bürgerorchester, Mariano Chiacchiarini
Chin: Neues Werk, Lachenmann: Tanzsuite mit Deutschlandlied, Schumann: Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“
Di, 13. Mai 2025 20:00 Uhr
Kölner Bürgerorchester, Mariano Chiacchiarini
Chin: Neues Werk, Lachenmann: Tanzsuite mit Deutschlandlied, Schumann: Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“
So, 13. Juli 2025 16:00 Uhr