Vivaldis Vier Jahreszeiten sind abgezopft, sie hängen, als Mutters Beste, auf ewig im CD-Schaufenster. Offenbar brauchen sie eine Verjüngungskur. Den Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man sich die neuesten Beiträge vornimmt.
Da ist zum einen Roby Lakatos, dieser ungarische Teufelsgeiger, der hier erstmals ein „klassisches“ Werk aufgenommen hat, „nach Zigeuner-Art“, wie er im Beiheft selber schreibt, mit vielen Freiheiten, mit viel Feingespür. Notentreue? Nicht wirklich. Lakatos will den barocken, improvisatorischen Geist („Drive“ nennt er es) zum Ausdruck bringen. Und Lakatos wäre nicht er selbst, würde er nicht eine schrille Kehrseite des Vivadi-Kosmos präsentieren: Mit Kálmán Cséski hat er zwei Werke komponiert, Alpha und Omega, die den hehren Vivaldi umrahmen, sowie ein Ave Maria des georgischen Patriarchen Ilya II. Eine kühne Aufnahme, nicht jedermanns Geschmack, aber urmusikantisch.
Auf der anderen Seite Nigel Kennedy, der Vivaldi verfremdet, verschönt, verwildert hat, mit Nebenstimmen, und tirilierenden Effekten: Gesumme, Gepfeife, mit modernen Instrumenten und Stilen. It’s Kennedy! Der Experimentator, mit Hang zu unberechenbaren Manövern. Wo Lakatos eine eigene Auffassung von historischer Nähe zeigt, legt Kennedy seinen Vivaldi auf den Schleudersitz und fährt einmal damit Achterbahn im Phantasialand. Sehr freiheitlich, aber nie flüchtig.
Vivaldi: Die vier Jahreszeiten
Nigel Kennedy (Violine)
The Orchestra of Life
Sony Classical
Vivaldi: Die vier Jahreszeiten u. a.
Roby Lakatos (Violine)
Brussels Chamber Orchestra
avanti classic