Auf den ersten Blick scheint es abwegig, ein Werk des Musiktheaters – noch dazu Wagners Opus Magnum – in das Raster von Comiczeichnung und Sprechblase pressen zu wollen. Doch Comic-Veteran P. Craig Russell – als ehemaliger Zeichner für das Marvel-Universum in Heldendarstellungen geschult – hat schon mehrere überzeugende Opernadaptionen vorzuweisen (und früh begonnen, seine Comics wie Musikstücke mit Opuszahlen durchzunummerieren). Wie bei Mozarts „Zauberflöte“ oder Strauss’ „Salome“ hält er sich auch beim „Ring“ eng an die Vorlage. Patrick Mason hat Wagners Libretto gekürzt ins Englische übertragen. Der so entstandene Prosatext wurde von Stephanie Pannen feinfühlig ins Deutsche übersetzt.
Mit Panels in unterschiedlichen Größen und Formen, kräftigen Farben und einer rhythmisierten, oft symbolischen Bildsprache, die – wie Wagners Leitmotive – übergreifende Handlungs- und Personenbezüge herstellt, greift Russell auch viele Aspekte und Details auf, die bei Wagner ausschließlich auf musikalischer Ebene stattfinden. Mag dem am franko-belgischen Comic geschulten Auge das Pathos der Darstellung zunächst befremdlich erscheinen, offenbart sich dem Leser doch schon nach kurzer Lektüre die herausragende Qualität dieser Graphic Novel, an der ihr Zeichner drei Jahrzehnte gearbeitet hat – ähnlich lang wie Wagner an seinem „Ring“. Eigentlich eine sträfliche Vernachlässigung, dass Russells werktreue Comic-Inszenierung erst 22 Jahre nach Erscheinen in den USA in deutscher Übersetzung vorliegt.
Der Ring des Nibelungen (Graphic Novel)
P. Craig Russell
Cross Cult, 448 Seiten
49,99 Euro