Das Foto auf dem Buchdeckel lässt einen schaudern: ein Kleinkind, den rechten Arm zum unseligen Gruß erhoben. Nicht während der NS-Zeit, sondern danach. Es ist der 1953 geborene österreichische Komponist Georg Friedrich Haas. Heute lebt er in New York und lehrt an der Columbia University. Aufgewachsen ist er im Montafon, im Westen Österreichs, in einer Familie von Altnazis. Einer der Großväter, Architekt, verriet einst in Wien eine jüdische Familie an die Gestapo und beutete KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene auf Baustellen aus. Nach 1945 hielt die gesamte Familie von Haas an der NS-Ideologie fest. Antisemitismus, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit, körperliche Gewalt bestimmten das Familienleben. Er sei ideologisch missbraucht worden, schreibt Haas. Und auch sexuellen Missbrauch gab es. „Ich schäme mich“, ist eine wiederkehrende Formulierung in diesen „Memoiren eines Nazibuben“, so der Untertitel.
Haas schreibt sich den Schmerz und die Scham „von der Seele“
Bis zu seinem Studium in Graz war Haas selbst indoktriniert von seiner Familie. Erst Begegnungen mit Menschen wie dem Komponisten Gösta Neuwirth haben Haas die Augen geöffnet, ließen ihn richtig abbiegen. Die Erinnerungen haben etwas Atemloses, sind in einem aphoristischen Episodenstil verfasst. Haas schreibt sich als Zeitzeuge den Schmerz und die Scham „von der Seele“, wie er es formuliert, weitet aber auch stets den Blick auf die Strukturen in Österreich. Nicht nur für Musikinteressierte ein aufschlussreiches, hochaktuelles Buch über fatale Kontinuitäten, die es massenhaft gab und gibt – nicht nur in Österreich.
Durch vergiftete Zeiten. Memoiren eines Nazibuben
Georg Friedrich Haas
Böhlau, 296 Seiten
40 Euro