Wortgewaltig, mit immensem Kontextwissen und ausgeprägter Psychologie in der Betrachtung des eigenen Weges geht der vielleicht bedeutendste Opernregisseur unserer Tage seine Biografie an. Er legt sie ausgesprochen früh vor. Denn mit 56 jungen Jahren balanciert Barrie Kosky zwar längst auf dem Olymp des Operngeschäfts, gab aus freien Stücken die enorm glückvolle und im ganzheitlichen Sinne maximal erfolgreiche Intendanz der Komischen Oper Berlin auf, lehnte parallel die Möglichkeiten der Führung noch bedeutenderer Häuser ab.
Doch zur anekdotisch die eigene Größe Revue passieren lassenden Rückschau neigen Operndiven, zu denen er sich als bunter schwuler Vogel aus Australien durchaus selbst zählen dürfte, doch eigentlich erst, wenn die besten Jahre vorbei sind. Kosky aber durchlebt gerade einen kontinuierlichen Höhenflug, inszeniert was und wo er will, ist extrem gefragt. Das Erscheinen dieses enorm unterhaltsamen wie überaus klugen Buches gleicht gewissermaßen seinen in ganz ähnlicher Weise ausgependelten Inszenierungen. Letzteren (in der allgemeinen Wahrnehmung mögen die von ihm ausgegrabenen, gern schrill und queer inszenierten Berliner Operetten im Vordergrund stehen) verleiht er nun im Nachgang eine vertiefende Legitimation, so als wolle er uns zwischen den Zeilen zu verstehen gebe, wie sehr und wie selbstverständlich Intellekt und Spaßfaktor in seiner Kunst zusammengehören.
Barrie Kosky: Das schönste und persönlichste Kapitel aber steht ganz am Anfang
Im Nachwort geht er dann kaum zufällig auf Monteverdi ein, den ersten Großmeister der Oper, und dessen „Orfeo“, den Kosky als erste Oper überhaupt in Szene setzte. In dessen Werk spürt der Regisseur die Essenz der Gattung auf: „der endlose Tango von Eros und Thanatos; die Vorstellung von Gesang als Erlösung, als Zerstörung, als Erinnerung und als Ausdruck menschlichen Seins; (…) die Wiederentdeckung der griechischen Tragödie durch Musik und Gesang und die unaufhörliche Ebbe und Flut von Freude und Melancholie.“
Ohne falsche Präpotenz spricht Barrie Kosky in solchen Sätzen auch von sich selbst, als jemand, der die Oper als Ganzes in ihrer wunderbaren Widersprüchlichkeit wirklich begriffen hat. Anhand von zentralen von ihm auf die Bühne gebrachten Werken handelt er zuvor sein bisheriges Regieleben, seine Arbeits- und Denkweise ab: von der so herrlich einfachen Arbeit an Tschaikowskys „Eugen Onegin“ bis zu einer seiner komplexesten Herausforderungen: der Deutung der deutschesten Oper Richard Wagners just im Bayreuther Festspielhaus: „Die Meistersinger von Nürnberg“.
Das schönste und persönlichste Kapitel aber steht ganz am Anfang: Barrie Kosky widmet es seiner ungarisch-jüdischen Großmutter, die aus Budapest in das von ihr gehasste Australien auswanderte und so ihr Leben rettete – und seines möglich machte. Die Grande Dame, deren Roben er für erste, wohl früh homoerotisch angehauchte Verkleidungsshows nutzte, wird seine Lehrerin und Mentorin in Operndingen, sorgt für seine jugendliche Initiation für jene Kunstform, der er sein Dasein verschrieben hat.
„Und Vorhang auf, hallo!“ – Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co.
Barrie Kosky
Insel, 250 Seiten
26 Euro