Hämmernde Wassermühlen, Kirchenglocken, Dampfmaschinen, Räder von Kutschen und Automobilen auf Kopfsteinpflaster, zischendes Schießpulver und krachendes Dynamit – eher am Rande geht es in diesem Buch auch um Musik. Dafür untersucht Autor Kai-Ove Kessler die Konditionierung unseres Gehörs durch den Lärm, der uns umgibt – vom noch zeugenlosen Urknall bis zur Dauerbeschallung in der digitalen Zeit. Nichts weniger als eine akustische Menschheitsgeschichte der westlichen Welt liefert Kessler, in lose aneinandergereihten (oft auch zwangläufig spekulativen) Eindrücken, die ebenso flüchtig sind, wie die Schallereignisse, die ihnen zugrunde liegen. Eindruck im Ganzen macht dieses Buch aber allemal, legt es doch den Fokus auf einen Nahsinn, der für gewöhnlich stark von der visuellen Wahrnehmung überlagert wird.
Kai-Ove Kessler rückt außergewöhnliche Details in den Vordergrund
So erreicht der Autor nicht nur einen höchst anregenden Perspektivwechsel, der einen an vielen Stellen innerlich aufhorchen lässt, sondern rückt auch Details in den Vordergrund, die in der Geschichtsschreibung für gewöhnlich außen vor bleiben: römische Sklaven, deren alleinige Aufgabe es war, für Ruhe zu sorgen; Kegelbahnen in Klöstern; Ausrufer von Limonade und Eis in der Oper und riesige Tierkampfarenen in europäischen Großstädten. Erste Verordnungen und Gesetzte im frühen 17. Jahrhundert sollen dem zunehmenden Lärm Einhalt gebieten, doch das Jahrhundert der Erfindungen bringt immer neue Störenfriede. Schließlich entdeckt die Medizin den Lärm als Krankmacher. Doch Kessler zieht ein im Wortsinn beruhigendes Fazit: Seit den 1980er-Jahren wird unsere Welt wieder leiser.
Die Welt ist laut. Eine Geschichte des Lärms
Kai-Ove Kessler
Rowohlt, 432 Seiten
26 Euro