Die sehr genaue Aufnahme erklärt, warum der Zyklus „Winterreise“ die Hörer 1828 so sehr verstören musste. Benjamin Appl singt wie in einem intimen Raum. Das ist etwas anderes, als wenn ein Sänger Intimität in einem Konzertsaal simuliert. Appl gestaltet fast trocken und deutlich. Ein weiterer Vorzug dieser gerade durch feine Mittel äußerst eindrucksvollen „Winterreise“: Große Gefühle erklingen ohne aufgerissene Dynamik oder Legato-Tränen. Wenn Appls Wanderer etwas ans Herz geht, artikuliert er das mit fast harten Verzierungen und erstarrenden bis fahlen Tönen. Hier erscheint dem Hörer ein junger Mensch, der liebt und resigniert. Nach dem „Leiermann“ bricht keine Welt zusammen, und das Auftrumpfen in „Mut“ bleibt kantabel ohne Pseudo-Heroik. Alles ist sehr gut und wirkt richtig. Eine gegen Katastrophenpathos immune Haltung zeigt auch James Baillieu mit zwischen Härte und Weichheit hervorragend ausbalancierender Empathie.
Schubert: Winterreise D 911
Benjamin Appl (Bariton), James Baillieu (Klavier)
Alpha (ALP854)