„Warum treffen wir uns gerade hier?“, fragt William Youn interessiert, kurz nachdem man sich in einer ruhigen Ecke eines etwas spärlich wirkenden Cafés im Stadtteil St. Pauli unweit der Reeperbahn niedergelassen hatte. „Kam der Vorschlag von Ihnen? Nein? Interessant“, schmunzelt der Pianist, dem man an seiner Mimik hin und wieder seine Gedanken ablesen kann. Nach einem kurzen Zögern dann das ehrlich Bekenntnis: „Ich bevorzuge vielleicht doch lieber eine etwas konservative Atmosphäre.“ Sofort fällt auf: Youn ist kein Mensch, der im Rampenlicht stehen muss. Das Ruhige liegt ihm mehr als das aufgeregte Gehabe manch einer seiner Pianisten-Kollegen.
Fast im Flüsterton spricht der gebürtige Koreaner, der in seiner Jugend zunächst nach Amerika ging, anschließend an der Musikhochschule Hannover bei Karl-Heinz Kämmerling studierte und heute München seine Wahlheimat nennt. „Ich bin die Hälfte des Jahres unterwegs, da möchte ich nach Hause kommen und einfach meine Ruhe haben“, entgegnet er auf die Frage, warum es ihn gerade in die bayerische Landeshauptstadt verschlagen hat. „München ist da ideal.“ Trotzdem: Youn ist Kosmopolit. Am Klavier ist er mittlerweile auf den großen Bühnen weltweit zuhause.
Langer Weg zur Pianisten-Karriere
Der Weg dahin war für ihn nicht der Einfachste. „Die Schule bei Kämmerling war hart, es gab große Konkurrenz zwischen seinen Studenten.“ Doch gemäß seinem ruhigen Naturell war das gesunde Vertrauen in sein künstlerisches Talent maßgeblich für den späteren Erfolg. Noch bevor er seine Karriere startete, ging er als Stipendiat an die International Piano Academy Lake Como, wo er mit Größen wie Dmitri Baschkirow, Andreas Staier und Menahem Pressler zusammenarbeitete. „Dort habe ich gemerkt, was wirklich möglich ist.“ Anschließend jedoch als Pianist künstlerisch neben den vielen anderen Nachwuchspianisten zu bestehen, bereitete ihm damals am meisten Sorge.
„Obwohl es jetzt gut für mich läuft, frage mich heute noch jeden Tag, ob es in fünf oder zehn Jahren immer noch funktioniert“, erzählt er nachdenklich. „Ich glaube, es ist nach wie vor alles offen.“ So ist sich Youn auch über die große Marketing-Maschinerie hinter den Künstlerkarrieren von heute bewusst. „Besonders für Pianisten ist es gegenwärtig ein harter Kampf, seinen eigenen Platz zu finden. Und die Karrieren werden immer kürzer: Erst wird man sehr gepusht und bekommt ganz plötzlich sehr viel Aufmerksamkeit. Dann ist man aber häufig nach kurzer Zeit nicht mehr künstlerisch interessant.“ Doch so schwarzmalerisch es sich anhört, ist es nicht gemeint. Youn ist vielmehr ein Pianist, der jeden Schritt seiner Laufbahn mit Bedacht angeht und seiner Tätigkeit ein fast schon eigenpädagogisches Konzept auferlegt.
Bei William Youn zählt jede Note
So auch bei seinem kürzlich vollendeten Album-Zyklus mit sämtlichen Klaviersonaten Mozarts. „Ich habe mit dem Zyklus angefangen, weil ich immer große Schwierigkeiten mit Mozart hatte. Fast schon Angst. Heute sehe ich das Repertoire klarer.“ Der Kern seiner Interpretationen liegt in einer für ihn nötigen Distanz zum Werk, bei der jede Note für sich genommen eine gleichberechtigte Relevanz im Stück zugute kommt. „Es kommt für mich darauf an, etwas Menschliches aus den Noten zu machen. So verstehe ich meinen Beruf.“ Auf die Frage, ob als Künstlerpersönlichkeit gewisse Bedenken bestehen, auf ein bestimmtes Repertoire reduziert zu werden, reagiert Youn gelassen. „Es kann natürlich passieren.“ Doch seine Album-Veröffentlichungen mit Werken von Schubert, Chopin, Schumann und Brahms sprechen eine andere Sprache, als die eines reinen Mozart-Interpreten.
Seine Person sieht Youn dabei jederzeit ganz bescheiden hinter den Werken. „Ich werde häufig gefragt, was für eine „Story“ ich mit der Musik erzählen wollen würde. Damit kann ich wenig anfangen. Die Musik steht im Vordergrund.“ So bewertet Youn auch die große Social-Media-Präsenz vieler seiner Kollegen skeptisch, stellt sich offen der Frage nach den Aufgaben eines Künstlers und zieht eine klare Grenze zwischen Privatleben und Öffentlichkeit. „Klar bin ich ein Mensch, der mit anderen kommunizieren will und auch sagen möchte, was ich denke. Trotzdem möchte ich nicht narzisstisch wirken.“ Beim Verabschieden ist es dann plötzlich wieder da, dieses für Youn typische Schmunzeln: „Es wird die Plattenfirma gewesen sein, die uns hier hingelotst hat. Interessant.“
William Youn spielt Schumanns „Humoreske, op. 20“: