Startseite » Porträts » Hingabe als Haltung

Porträt William Christie

Hingabe als Haltung

Der Dirigent und Cembalist William Christie ist in Sachen historischer Aufführungspraxis eine Institution, auch weil er so sensationell unprätentiös ist.

vonPeter Krause,

Der Taktgeber als Titan ist ihm fremd. William Christie pflegt die dirigentische Demut, den Dialog mit seinen Mitmusikern so sehr wie jenen mit dem Publikum. Extravagant ist bei seinen Auftritten im Dienste der Alten Musik stets nur ein kleines Detail: Der Jubilar, der kürzlich mit seinem Ensemble Les Arts Florissants in der Opéra Royal von Schloss Versailles ein Festkonzert anlässlich seines achtzigsten Geburtstags gab, er trägt bei seinen Auftritten gern rote Socken, die zu seinem Erkennungszeichen wurden. Doch sonst setzt er ganz auf Understatement und französische Finesse.

Der Amerikaner in Paris, der bereits 1971 aus den USA auswanderte, in der französischen Hauptstadt heimisch wurde, in Europa sein Wissen um die historische Aufführungspraxis verfeinerte und bereits 1979 sein eigenes Ensemble gründete, ist längst auch offiziell ein Franzose. 1995 erhielt er die Staatsbürgerschaft, wurde in die Ehrenlegion aufgenommen – und gehört zu den lebenden Legenden der Barockszene, für die er so viel getan hat wie ein Nikolaus Harnoncourt, ein John Eliot Gardiner, ein René Jacobs oder ein Philippe Herreweghe, in dessen Collegium Vocale Gent er schon früh als Cembalist wirkte.

Seit 1995 besitzt der gebürtige US-Amerikaner  die französische Staatsbürgerschaft
Seit 1995 besitzt der gebürtige US-Amerikaner die französische Staatsbürgerschaft

Primus inter Pares

Zwar steht in den Programmen seiner Konzerte in der Regel ganz klassisch die Funktion „Dirigent“ oder „Musikalische Leitung“, doch eigentlich ist William Christie, von Fans und musikalischen Mitstreitern gern vertraut locker „Bill“ genannt, ganz und gar Cembalist geblieben. Die Selbstdarstellung des auratischen Maestros, den es in barocken Zeiten ja ohnehin nicht gab, ist ihm fremd geblieben. Die Leitung von Instrumentalisten, Sängerinnen und Sängern geschieht denn auch meist ganz schlicht von den zwei Manualen seines Cembalos aus. Hier und da gibt es einen animierenden Blickkontakt zu seinen Kolleginnen und Kollegen.

Sonst ereignet sich die Koordination zwischen William Christie und den Musikern durch aufmerksames Aufeinander-Hören und Miteinander-Atmen, vielleicht auch mal durch ein Nicken oder ein Lächeln. Ausdrücklich dirigiert er allenfalls die im Tempo sanft verzögerten Schlusstakte eines Stücks. Denn notwendig scheint das Taktschlagen bei ihm so gar nicht. Die hohen Streicher musizieren bei ihm schließlich gern im Stehen, was die direkte Kommunikation und den Energiestrom untereinander fördert. Der Dirigent ist ganz klar ein Primus inter Pares, der zum Auftrittsapplaus mit den Seinen im Kollektiv auftritt, tunlichst nicht mit einem herausgehobenen Dirigentenego assoziiert werden möchte.

William Christie liebt seltenes Barockrepertoire
William Christie liebt seltenes Barockrepertoire

Die Perlen des Repertoires

So entsteht bei William Christie immer wieder in vitaler, nuancenreicher, farbenzarter Akkuratesse ein lustvolles Musikmachen von ausgeprägter Natürlichkeit. Nichts gerät hier prätentiös, man lauscht gemeinsam ins Innere, evoziert eine Fülle des barocken oder frühklassischen Wohllauts. Seine Haltung ist die Hingabe. Und sein präferiertes Repertoire sind die nicht die Gassenhauer der Alten Musik, sondern die mit dem Forscherdrang des Musikwissenschaftlers aufgespürten Preziosen. Als Amerikaner zeigte er seinen französischen Freunden früh, welche herrlichen Raritäten sie viel zu lange vernachlässigt hatten, entdeckte also die Opern von Charpentier, Lully und Rameau neu. Kaum zufällig setzte er Ausschnitte aus deren Werken auf das Programm seines Geburtstagskonzerts. Ein Monteverdi, ein Bach, Händel oder Purcell kamen und kommen deshalb keineswegs zu kurz.

Doch der neugierige (Wieder-)Entdecker und Pionier in ihm setzt sich gern gegen den Bewahrer des einmal als schön Erkannten durch. Damit mag auch sein pädagogisches Engagement zusammenhängen. Mit seinem akademischen Projekt „Le Jardin des Voix“, für das er gern in das Arkadien seines Landguts in der westfranzösischen Vendée einlädt, veredelt er den sängerischen Nachwuchs und sensibilisiert ihn für die besonderen stilistischen Anforderungen der Alten Musik, setzt beherzt Zeichen für die Zukunft: Der Cembalist, Dirigent, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge will sein Wissen weitergeben, so wie er es mit all jenen getan hat, die heute ihrerseits zu den Stars der Szene gehören.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

  • „Ich bin einfach Sängerin“
    Interview Fatma Said

    „Ich bin einfach Sängerin“

    Fatma Said spricht im Interview über das romantische Lied, das Eigenleben der Stimme und einen besonderen Besuch in Kairo.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!