Clara Schumann, geborene Wieck, hat faszinierend viele Gesichter: Sie war eine Virtuosin am Klavier und als Mutter eine Pragmatikerin, eine den Familienunter halt bestreitende Freischaffen de und als Ehefrau des früh verstorbenen Robert Schumann eine echte Romantikerin. Sie hatte ein Leben als Wunderkind schon vor der Begegnung mit dem Buchhändlersohn aus Zwickau, aber die Rehabilitierung durch die Nachwelt für ihr kompositorisches Ver mächtnis steht noch aus. Nach Roberts Verlöschen in der Heilanstalt Endenich begann ihre zweite Lebenshälfte, in der sie die Rolle einer Bewahrerin der gesamten pianistischen Kultur des 19. Jahrhunderts einnahm.
Biografien des 20. Jahrhunderts spalteten Claras Persönlichkeit in ein künstlerisches Leben als Klaviervirtuosin, Komponistin, Pädagogin und in ein privates Leben als Frau, Freundin, Liebende. Das hatte einen Haken: Clara wurde vor allem als Interpretin vergöttert, weil sie als Familienoberhaupt ihre schöpferischen Energien vernachlässigte. Aber deshalb war sie noch lange keine „Gelegenheitskomponistin“. Das Schumann Netzwerk publiziert alle Ehrungen und Initiativen zu Claras 200. Geburtstag. Ihre Geburtsstadt Leipzig feiert die Musikerin mit dem Veranstaltungs zyklus CLARA19. Beatrix Borchard kuratiert dort für das SchumannHaus die neue Dauerausstellung. Vor allem geht es darum, Claras künstlerische Impulse zu würdigen, ohne ihr Sekundärgründe wie Emanzipation, Rebellion, Unabhängigkeitsstreben und Selbstbefreiung zu unterstellen.
Es fehlt der unbefangene Umgang mit Clara Schumann
Als bahnbrechende und im frühen 19. Jahrhundert ihren Weg unter erschwerten Bedingungen gehende Musikerin hat sie einen Anspruch darauf, als ganzheitliche Persönlich keit wahrgenommen zu werden. Das ist bei diesem Jubiläum weitaus wichtiger als die Würdigung von Einzelaspek ten ihres Wirkens. Denn noch immer fehlt der unbefangene Umgang mit Claras zukunfts weisendem Vermächtnis. Zu ihren Aufgaben gehörten so gar die Berufsfelder Lektorat, Werbung und Recherche. Maß geblich war sie an den Breitkopf-Editionen der Werke Robert Schumanns und Chopins beteiligt. Claras vermittelnder Einfluss zum sich wandelnden Zeitgeschmack im späten 19. Jahrhundert ist da ebenso aufschlussreich wie ihre noch heute genutzten Fingersätze.
Die Komponistin
Anders als das kompositorische Schaffen vieler ihrer Zeitgenossen ist das Gesamtwerk von Clara erschlossen und verfügbar. Zwei ihrer Werke gehören inzwischen auch zum pianistischen Standard Repertoire: das Klaviertrio g-Moll op. 17 und ihr Klavier konzert aMoll op. 7, das Andris Nelsons zu ihren Ehren am 13. September, an ihrem 200. Geburtstag, im Leipziger Gewandhaus dirigieren wird. Im Jubiläumsjahr treten auch ihre Klavierlieder wieder verstärkt in das Bewusstsein. Claras durchaus pragmatisches Verhältnis zum Komponieren wurde seinerzeit von einem männlich dominierten Musik betrieb als Gleichgültigkeit gegenüber ihrem eigenen Schaffenmissverstanden. Deshalb wollte man ihr auch keinen Rang zugestehen, der den männlichen Komponisten ebenbürtig war.
Die Interpretin
Clara wurde für ihren kantablen, liedhaften Anschlag von Hörern und Experten umjubelt. Doch es sind auch Kritiken überliefert, die ihr mechanisches Tempo tadelten. Bahnbrechend ist die Leistung Clara Schumanns als Verbreiterin der Werke Roberts zu und nach dessen Lebzeiten. Sie war es, die mit dem Bariton Julius Stockhausen auf den Konzertpodien die vollständige Auf- führung der großen Liedzyklen Schuberts und Schumanns durchsetzte. Zu ihrer erweiterten musikalischen Familie gehörten die Wagner-Heroine Wilhelmine Schröder-Devrient und die mindestens ebenso großartige Sängerin Pauline Viardot-Garcia, die sich wie Clara selbstbewusst als Interpretin, Komponistin, Ehefrau und Mutter definierte.
Die Lehrerin
Claras Schüler, etwa Theodor Müller-Reuter, führten Aufzeichnungen, aus denen ihr Klangideal verständlich wird. Sie war an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt als erste Professorin gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch eine wandelnde Enzyklopädie stilistischer und technischer Kompetenzen. Für die Nachwelt ist es eine riesige Lücke, dass Clara keine Klavierschule, theoretische Schriften oder Anmerkungen zur Interpretation hinterlassen hat. Zu einem Teil lässt sich ihre pianistische Kultur aus der Korrespondenz erschließen. Aus erhaltenen Aufnahmen und Erinnerungen von Claras Schülerinnen wie Adelina de Lara oder Fanny Davies versucht man heute, Claras bahnbrechenden Stil zu rekonstruieren.
Die Mutter
Clara war hart im Nehmen: Beschwerden der ersten Schwangerschaftsmonate wie Übelkeit und Schwindel ertrug sie gelassen und sagte deshalb nie einen Konzertauftritt ab. Zwischender Entbindung ihrer dritten Tochter Julie und der nächsten Schwangerschaft mit Emil lagen nur wenige Wochen. In späteren Jahren musste Clara, die 1846 auf Norderney eine Fehlgeburt im vierten Monat erlitten hatte, ihren acht Kindern und deren Angehörigen bei teils extremen Schicksalsschlägen beistehen. Ihr Sohn August verbrachte fast dreißig Jahre in der Landesversorgungsanstalt für unheilbar Geisteskranke im südöstlich von Leipzig gelegenen Colditz. Und als ihr Sohn Ferdinand unheilbar an Gelenkrheumatismus erkrankte, kümmerte sich Clara auch noch um die Erziehung von dessen sieben Kindern.
Die Liebende
Clara und Johannes Brahms gaben sich später ihre Briefe zurück. Welche Rolle spielte der um 14 Jahre Jüngere für sie in den Jahren 1854 bis 1856, als Robert Schumann in der Heilanstalt Endenich bei Bonn dahinsiechte und Clara ihn erst kurz vor seinem Tod besuchte? Gegen alle Vorbehalte von außen nahm Clara ihren Ehemann in Schutz, versuchte aber als noch junge Witwe ein neues Leben: Ihre kurze partnerschaftliche Beziehung mit dem spielsüchtigen Theodor Kirchner in Baden-Baden blieb ein wenig freudvolles Intermezzo. Wie ein roter Faden zieht sich durch Claras Biografie, dass Verehrer und Liebespartner bei der starken Frau immer jenen Halt und jene Stabilität suchten, den sie ihr nicht zu gewähren vermochten.