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Ivo Pogorelich zum 60. Geburtstag

Polarisierender Individualist

Für die einen ist er ein kreatives Genie, für die anderen ein manierierter Exzentriker. Heute feiert der kroatische Starpianist Ivo Pogorelich seinen 60. Geburtstag.

vonMario-Felix Vogt,

Anno 1980 knallten in Warschau die Türen. Voller Wut zog sich Martha Argerich aus der Jury des Internationalen Chopin-Wettbewerbs zurück, da sie nicht akzeptieren konnte, dass die Mehrheit ihrer Mitjuroren den 22-jährigen Ivo Pogorelich nicht ins Finale lassen wollten. Für Argerich war der junge Mann schlichtweg „ein Genie“ und somit der klare Sieger. Der spontane Ausstieg der berühmten Pianistin aus der Jury sorgte dafür, dass sich die Medien plötzlich mehr für Pogorelich interessierten als für den musikalisch recht profillosen Sieger Dang Thai Son. Rasch nahm die Deutsche Grammophon den jungen Kroaten unter Vertrag, bald gab er ausverkaufte Recitals in aller Welt. Stets unumstritten waren Pogorelichs phänomenale pianistische Fähigkeiten, während seine eigenwilligen Interpretationen die Musikwelt bis heute spalten.

Denn ob Tempo, Dynamik oder Agogik: In allen drei Bereichen ist er ein Meister der Extreme. Manche Stücke wie einzelne Chopin-Préludes spielt er schnell bis zur Raserei, während er den Kopfsatz von Beethovens e-Moll-Sonate op. 90 und Franz Liszts „Mephistowalzer“ so sehr dehnt, als vollführte er eine zenbuddhistische Meditation. Letzteres erschwert es dem Hörer bisweilen, die Satzstruktur nachzuvollziehen, andererseits entdeckt der kroatische Pianist im extrem langsamen Zeitmaß oft neue Zusammenhänge, die sich im üblichen Tempo gar nicht erschließen.

Ivo Pogorelich
Ivo Pogorelich © Malcolm Crowthers

Herausragender Techniker an den Tasten: Ivo Pogorelich

Was die Dynamik betrifft, so reicht Pogorelichs Spektrum vom kaum hörbaren Pianissimo-Tupfen bis zu einem perkussiven Fortissimo mit metallischem Kern. Besonders eindrucksvoll zeigt sich seine dynamisch-klangliche Spannbreite in Maurice Ravels hochvirtuoser Spuk-Trilogie „Gaspard de la nuit“, die er so souverän beherrscht wie nur wenige seiner Kollegen. Das Rubato wendet der kroatische Meisterpianist gelegentlich recht exzessiv an, nicht nur in seinen Mozart-Interpretationen führt dies manchmal zu metrischen Verschiebungen.

Im Laufe der Jahre sind Ivo Pogorelichs Interpretationen noch extremer geworden, nicht wenige Besucher verlassen seine Konzerte bei aller Bewunderung für seine Virtuosität und klangliche Vielfalt mit Fragezeichen im Kopf. Allerdings gibt es heutzutage so viele Pianisten, deren vorhersehbares Spiel maximal gepflegte Langeweile ausstrahlt, dass ein radikaler Künstler wie Ivo Pogorelich so wichtig ist wie nie zuvor. Hoffen wir, dass er uns mit seinen eigenwilligen Deutungen noch viele Jahre begeistert und zum Nachdenken anregt.

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