„Ach, Sie sind Musikerin.“ Wenn Sophie Dervaux in Paris nach ihrer Beschäftigung gefragt wurde und sie begeistert von ihrem Fagott sprach, erntete sie nicht selten Verwunderung, gar Geringschätzung. Nicht nur wegen ihres Instruments, das viele als exotisch abtun, sondern ganz allgemein. Wenn sie dann allerdings erwähne, dass sie auch Musik unterrichte, sei alles in Ordnung. Lehrerin: ein anständiger Job, von dem man leben kann.
Ganz anders die Resonanz in Wien, wo sie jetzt lebt und arbeitet. Die Stadt an der Donau scheint es ihr angetan zu haben. Alles sei so anders, übersichtlicher, nicht so oberflächlich – und überall liege Musik in der Luft. Die Wiener seien stolz auf ihre musikalische Tradition, das ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten. Die Französin ist seit 2015 Solofagottistin der Wiener Philharmoniker und des Wiener Staatsopernorchesters. 1991 in der Nähe von Paris geboren, studierte sie zunächst am Conservatoire National Supérieur de Musique in Lyon, um dann nach Deutschland zur Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin zu wechseln. Anschließend trat sie der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker bei.
Die Liebe zum „großen Stück Holz“
Ihr Instrument lernte sie eher durch einen Zufall kennen. Als Kind spielte sie Gitarre und Klarinette, ein Fagott kannte sie nicht. Es war pures Glück, dass ihre Eltern verhindert waren, als ihr Bruder bei einem Kurs verschiedene Instrumente ausprobieren sollte: Er brauchte eine Begleitung. „Ich war ziemlich sauer, ich wollte da eigentlich nicht hingehen“, erinnert sich Dervaux. Sie war zwölf Jahre alt. „Der Lehrer war neu und motiviert, er hat eine super Vorstellung gemacht. Das hat mich fasziniert. Als er dann fragte, ob irgendjemand das Fagott ausprobieren möchte, habe ich einfach mal zugegriffen. Ich spielte den ersten Ton und dachte sofort: Wow, das ist super! Ich mochte das Gefühl, den wunderbaren Klang. Dann bin ich mit meinem Bruder nach Hause gegangen und wusste ab diesem Moment: Ich möchte dieses Instrument lernen.“
Ein Fagott wiegt mit Koffer fünf bis sieben Kilo, was es nicht unbedingt für ein Instrument für Kinder prädestiniert. „Ich war zum Glück recht groß gewachsen für mein Alter, deshalb bereitete mir das kein Problem“, erklärt die Musikerin. Kinder können sich dem ungewöhnlichen Instrument übrigens in einer kleineren Version annähern, dem sogenannten Fagottino. Es ist höchstens ein Meter lang und federleicht. (Manche Ausführungen sind extra für Kinder farbig gestaltet, mit gelb-schwarzen Streifen, die an die berühmte Tigerente des Zeichners Janosch erinnern.) Dervaux legte allerdings sofort mit dem „großen Stück Holz“ los, zu überwältigend war die Liebe. Und die muss auch weit reichen, denn solch ein wertvolles Instrument braucht Pflege und Hinwendung. Insbesondere das filigrane Mundstück braucht die Liebe – des Wechsels. Denn leider ist dem Rohr nur ein kurzes Leben beschieden, es muss regelmäßig ersetzt werden. Maximal zwei Wochen spielt man damit.
Hat immer das passende Rohr parat: Sophie Dervaux
„Es gibt eine Kurve, wie sich der Klang über diese kurze Zeit entwickelt. Man muss wissen, wie er langsam sein Optimum erreicht und wann das Holz sozusagen müde wird“, erklärt Dervaux. Deshalb hält sie immer eine Anzahl von „Top-Rohren“ bereit, die sie parallel im Klang „aufbaut“: Am Anfang klingen sie sehr direkt, dann milder, um schließlich aufgrund der Feuchtigkeitseinwirkung beim Spiel und dem wiederholten Trocknungsprozess abzuflachen. „Bei Wagner muss ich zum Beispiel ein jüngeres Rohr nehmen, das schnell reagiert“, sagt sie. Vierzig Rohre sind bei der Solistin parallel im Einsatz. Je nach Repertoire und gewünschter Klangwirkung erfolgt die spezifische Auswahl. Da muss man den Überblick behalten. Trifft eine Bestellung ein, werden die neuen Teile erst mal durchnummeriert, ausprobiert und gemäß ihrer Charakteristika geordnet. Einmal im Jahr muss das Instrument zudem zu einer Generalüberholung. Verschiedene Teile müssen gecheckt und gewechselt werden, neue Polster angebracht werden, die Klappen müssen geölt werden. Dervaux vertraut dabei einem Instrumentenbauer aus dem hessischen Nauheim.
Nicht nur der lustige Clown
Gut vorbereitet begann sie mit den Aufnahmen zu ihrer ersten Solo-CD, die im April bei Berlin Classics erschien. Ausschließlich französisches Repertoire hat sie für ihre „impressions“ ausgesucht. Darunter befinden sich Arrangements von Claude Debussys „Beau soir“ und seinem immer wieder betörenden „Clair de lune“, aber auch Bearbeitungen von Vokalwerken wie Gabriel Faurés „Après un rêve“ oder Reynaldo Hahns „À Chloris“. Im Booklet zur CD beschreibt die Französin ihre Motivation: „Viele kennen das Fagott ja als lustiges Instrument. Aber es kann mehr als nur der lustige Clown sein.“
Eindrücklich beweist sie dies in „Interférences“, dem letzten Stück des Albums. Es stammt von dem 2019 verstorbenen Komponisten Roger Boutry und ist laut Dervaux „das mit Abstand wildeste Stück des Programms. Es gibt Jazzeinflüsse, auch sehr Modernes, die Harmonien werden dann ganz anders.“ Als Botschafterin ihres Instruments will sie nicht nur dem Publikum, sondern auch jungen Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass es Repertoire jenseits von Mozart und Weber gibt, das bei Probespielen regelmäßig gefordert wird. Der Eindruck, den das Stück von Boutry hinterlässt, ist tatsächlich eindrücklich, erfrischend. Es rundet ein Programm ab, das eine Künstlerin zusammengestellt hat, die um jede Nuance ihres geliebten Instruments weiß.