Ein Nachmittag im sommerlich überhitzten Hamburg. Jelena Dabić (36) ist zum Gespräch in ein Café am Hauptbahnhof gekommen, um mit uns über ihre Musik zu sprechen. Aber wie begegnet man einer Komponistin? In einer Gegenwart, in der die Spielpläne vom Repertoire beherrscht werden, sind Komponistinnen, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, eine Seltenheit. Dabić aber hat keineswegs für die Schublade gearbeitet sondern bereits für bedeutende Auftraggeber Werke geschaffen. 2011 wurde ihre Auftragsarbeit „In circle“ beim Young Euro Classic Festival in Berlin uraufgeführt, bereits 2009 schrieb sie im Auftrag des Siemens Arts Program das Werk „Hartack“ für Marimbafon.
Von der Improvisation zur künstlerischen Initiation
Die Unterhaltung mit Dabić ist von Anfang an ziemlich ungezwungen – weder ist das, was sie tut, besonders abgehoben, noch sie selbst als Mensch. Auf die Frage, wie sie gemerkt hat, dass sie Komponistin werden möchte, erklärt sie: „ Ich habe mit der Tambura, einem serbischen Volksinstrument, bei einem Konzert gespielt. Da war ich etwa zehn Jahre alt. Auf der Bühne hatte ich aber einen Blackout, als ich Saint-Saëns spielen wollte, und habe stattdessen improvisiert.“ Die Erwachsenen waren begeistert und förderten ihr Talent.
Für ihre Ausbildung ging sie später an die Akademie der Künste in Novi Sad. Der Unterricht war konservativ und an den theoretischen Grundlagen orientiert – sie lernte den strengen Tonsatz und den Kontrapunkt. Als Dabić 2008 an die Hochschule für Musik und Theater München wechselte, erlebte sie einen großen Unterschied. Hier konnten alle in der Kompositionsklasse viel freier experimentieren. „In meiner Zeit in München war ich ein richtiger Streber“, erzählt Dabić und lacht. „Ich war die ganze Zeit im Gasteig und habe Partituren studiert.“
Neue Musik auf dem Prüfstand
Dieses Engagement trug bald Früchte: Noch während ihres Studiums kam 2010 ihre Oper „Spiegelspiel“ bei der Münchener Biennale zur Uraufführung. Wie bei ihren späteren Opernprojekten stammte die Idee zur Handlung von Dabić. „Ich habe dann immer direkt Musik im Kopf“, erzählt sie von diesem schöpferischen Vorgang. In „Spiegelspiel“ geht es um Geschwister, die auf dem Dachboden zwei Spiegel finden. Als das Mädchen den Wunsch äußert, sie wäre gerne groß, erfüllt ihr der eine Spiegel den Wunsch. Doch nun ist plötzlich Krieg, sie muss die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, und zu ihrem Bruder findet sie keine Kommunikationsebene mehr. In ihrer Musik arbeitete sie mit gespiegelten Strukturen und mit Motiven für Situationen und Figuren.
Spätestens an diesem Punkt unseres Gesprächs ist deutlich geworden, dass die Komponistin Dabić als Künstlerin exemplarisch für den lebendigen und vielfältigen Bereich der Neuen Musik steht. Es ist keineswegs so, dass das Erbe klassischer Musik nicht fortgesetzt würde. Dabić aber macht sich ihre Gedanken: „Ich frage mich in letzter Zeit verstärkt, ob man heute noch Komponisten braucht.“ Das ist nicht als grundsätzlicher Zweifel zu verstehen. Ihr geht es bei dieser Frage um den rasanten digitalen Wandel, der uns mit einem Überangebot von Unterhaltungsmöglichkeiten versorgt. Das hat die Rolle, die Komponisten innerhalb einer Gesellschaft, in der sie künstlerisch tätig sind, einnehmen können, tatsächlich stark relativiert.
Jelena Dabić und die Konzertreihe „Seidenstraße“
Jelena Dabić hat ihre künstlerische Antwort auf diese Problematik bereits gefunden. Mit ihren jüngeren Werken hat sie ortsgebundene Arbeiten geschaffen und ihre Oper „Der Riss“, deren Handlung in einem Bunker spielt, in einem Tiefbunker am Hamburger Hauptbahnhof uraufgeführt. Diese Konzepte erarbeitet sie individuell und erreicht allein durch den Aufführungsort eine hohe Unmittelbarkeit. Damit ihre Musik weniger abstrakt wirkt und das Publikum direkt berührt, greift Dabić oft Außermusikalisches auf. Beispielsweise Videos, Bewegung oder theatralische Elemente.
Auch ihre Reihe für Neue Musik „Seidenstraße“, die am 8. September zum vierten Mal stattfindet, basiert auf diesen künstlerischen Ansätzen: Die historische Handelsstraße, die von China nach Europa führte, bietet zum einen das Angebot bildlicher Assoziationen. Darüber hinaus kommen in den Werken, die dort (ur-)aufgeführt werden, einige der Volksinstrumente zum Einsatz, die sich entlang der Seidenstraße grenz- und kulturübergreifend verbreiteten und bis heute verwendet werden. Zu dieser Instrumentenfamilie gehört auch die Tambura.
Besuch von Tan Dun
Die Handelsroute ist damit ein Symbol für kulturellen Austausch. Weil die chinesische Regierung derzeit 900 Milliarden Dollar in das Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“ investiert, ist das Thema außerdem sehr aktuell. Im Hamburger resonanzraum treten beim diesjährigen Seidenstraßenfestival bekannte Künstlerinnen wie Asya Fateyeva auf. Sie stehen für die hohe künstlerische Qualität des Festivals, das bereits der berühmte Komponist Tan Dun besucht hat.
Als wir uns verabschieden, ist deutlich geworden, dass Jelena Dabić ihre Arbeit als gesellschaftlichen Auftrag begreift. Den nimmt sie ernst und nutzt ihn, wenn der Funke gezündet hat, als Katalysator für die eigene Kreativität.
Das Auftragswerk „In circle“ für Young Euro Classic könnt ihr hier hören:
concerti Tipp:
fresh::sounds- seidenstrasse vol. 4
Sa. 8.9.2018, 20:00 Uhr
Lini Gong (Sopran), Asya Fateyeva (Saxofon), Elshan Ghasimi (Tar), Xiaogang Zeng (Guqin), Lin Chen (Percussion), Jelena Dabić (Künstlerische Leitung)
resonanzraum