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Sommerreihe: Starke Frauen – Isabel Mundry

Neue Musik, aber verständlich

Die deutsche Komponistin Isabel Mundry schafft Neue Musik, in der eine semantische Ebene mitgedacht und die dadurch für das Publikum zugänglich ist. Das ist zugleich naheliegend und keineswegs selbstverständlich

vonWolfgang Wagner,

Isabel Mundry, Jahrgang 1963, hat in ihren Kompositionen wiederholt ausgelotet, welche Welterfahrungen wir in unserer Gegenwart machen. Das kann Musik tatsächlich leisten, auch wenn dieses Potenzial nicht auf der Hand liegt. Um diesen wichtigen Aspekt von Mundrys Wirkungsästhetik zu vermitteln, soll deshalb zunächst eine allgemeine Prämisse aufgestellt und erläutert werden: Musik ist wie eine Sprache. Sie kann semantische Inhalte kodiert vermitteln, und das Publikum versucht diese zu deuten. Dabei entstehen Bilder im Kopf, die in ihrer Summe zu individuellen Erlebniswelten anwachsen.

Musik als Sprache

Wir Menschen haben für diese Deutungsvorgänge eine unterschiedlich stark ausgeprägte Intuition. Doch es bleibt generell dabei, dass Musik sich uns in irgendeiner Form mitteilen muss, sonst sitzen wir überfordert oder gelangweilt im Konzertsaal. Das gilt nicht erst für unsere Gegenwart, sondern war schon immer so. Doch wurde gegen Neue Musik oft der Vorwurf erhoben, sie sei sperrig, viel zu verkopft und letztlich unverständlich. Es wäre mehr als bedauerlich, sollte das tatsächlich zutreffen, denn sie hat stets das Potenzial, Zeittypisches mit den ihr eigenen Ausdrucksmitteln zu erkunden und zu deuten. Gelingt dies, wird sie für uns zur Erkenntnisquelle.

Beispielsweise hat Mozart in der Oper „Così fan tutte“ seinen Zeitgenossen vor Augen geführt, dass man als Mensch oft in Gefühlsduseleien gefangen ist, die für Außenstehende offensichtlich oberflächlich sind, denen man aber trotzdem ohne jede kritische Distanzierung verfallen ist. Das gelang ihm, indem er die eigentlich seichten Empfindungen der Charaktere musikalisch so stark zum Ausdruck brachte, wie diese sie empfanden. Eine Intention, die aus dem Geist der Aufklärung hervorgegangen ist.

Isabel Mundry, 2010
Isabel Mundry, 2010 © Martina Pipprich

Isabel Mundry verfolgt konkrete Fragestellungen

Auch Neue Musik greift in manchen Fällen zeitgenössische Diskurse und Erlebnisse aus dem Alltag der Gegenwart auf. Und hier schließt sich der Kreis: Isabel Mundry verfolgt in ihren Kompositionen immer wieder ganz konkrete Fragestellungen, die uns alle betreffen. So setzt sie ihre Musik ins Verhältnis mit anderen Erfahrungsdimensionen wie Zeit oder Raum. In ihrem 2012 entstandenen Klavierkonzert „Non-Places“ brachte sie zum Ausdruck, dass wir uns oft an Orten, etwa an internationalen Flughäfen, aufhalten, die eine neutrale Geräuschkulisse haben und als akustische Erlebnisräume insofern beliebig werden.

Isabel Mundry ist eine der meistgespielten Komponistinnen der Gegenwart, und es ist sehr gut möglich, dass der starke Realitätsbezug ihrer Musik dazu wesentlich beigetragen hat. Ihr Œuvre ist seit den späten Achtzigern stetig gewachsen und umfasst inzwischen alle Gattungen. Weil Mundry ihre Werke in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in Schriften vermittelt hat, erleichterte sie den Zugang zu ihrer Musiksprache. Allen, die sich mit ihrem Schaffen auseinandersetzen wollen, ist eine Lektüre dieser lebendigen und anschaulichen Texte nur zu empfehlen. Sie sind die Ideale Vorbereitung, um ihrer Musik im Konzertsaal zu begegnen.

Ein Kompositionszyklus als imaginäre Choreografie

Die nächste Gelegenheit dazu besteht am 14.9., wenn im hr-Sendesaal Mundrys „Motions // Der doppelte Blick .Teile I-VII“ gespielt werden. Der Zyklus, in dem sie sich mit dem Körperlichen in der Musik beschäftigt, erklingt dann erstmals vollständig in zwei Blöcken. Dieses Werk, das Mundry als imaginäre Choreografie beschreibt, ist wie das Klavierkonzert „Non-Places“ ein gutes Beispiel für Neue Musik, die zu ihren Hörern spricht, weil sie mit den der Kunstform eigenen Möglichkeiten etwas ganz Konkretes beschreibt.

Hier könnt ihr euch Mundrys „Textile Nacht“ mit dem EunoiaQuintet anhören:

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concerti-Tipp:

Der doppelte Blick
Fr. 14.9.2018
Tamara Stefanovich (Klavier), hr-Sinfonieorchester, Jonathan Stockhammer (Leitung)
Werke von Boulanger, Mundry, C. Schumann
hr-Sendesaal
Frankfurt am Main

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