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Porträt Quatuor Hermès

Wo Intuition und Intellekt zusammenfinden

Das französische Quatuor Hermès meidet die Extreme und vermittelt zwischen dem Notentext des Komponisten und der Empfindsamkeit des Publikums.

vonSören Ingwersen,

Die Extreme auskosten, ist ein derzeit vorherrschender Trend in der klassischen Musik, der nicht jedem gefällt. Gegenüber dem auf Sicherheit bedachten Spiel mit Netz und doppeltem Boden bietet er zwar dem größten Feind jeder künstlerischen Äußerung, der Langeweile, kühn die Stirn, läuft aber immer Gefahr, bei Übertreibung zur bloßen Pose zu erstarren. Ein Ensemble, das mit hervorragendem Geschick auf dem klugen Mittelweg zwischen akkurater Notentextausdeutung und emotionaler Tiefenschürfung balanciert, ist das französische Quatuor Hermès. 2008 von Studenten des Conservatoire national supérieur de musique et de danse von Lyon gegründet, wählte das Streichquartett den Himmelsboten der griechischen Mythologie als Namensgeber, der ja ebenfalls als Mittler zwischen zwei Welten auftritt.

Quatuor Hermès setzt die klangvolle Geschichte des Streichquartetts fort

Erklärtes Ziel des Ensembles, das mit nur wenigen Besetzungswechseln seit nunmehr vierzehn Jahren seinen individuellen Stil verfeinert, ist es, zwischen dem Text des Komponisten und der Empfindsamkeit des Publikums zu vermitteln. Diese Fähigkeit trainierte das Quatuor Hermès insbesondere mit den Quartetten Ravel, Ysaÿe und Artemis, aber auch mit dem Berliner Kammermusikpädagogen Eberhard Feltz, dem „Guru des Streichquartetts“, und mit Pianist Alfred Brendel – zwei Persönlichkeiten, die aus der Selbstreflexion des Musikers das harmonische Zusammenspiel von Intuition und Intellekt entwickeln. Dieses kommt nicht nur auf Tourneen zum Tragen, die das Quartett von der Londoner Wigmore Hall über die New Yorker Carnegie Hall bis in die Verbotene Stadt in Peking führt, sondern auch auf den acht Alben, die das Ensemble bis heute eingespielt hat. Seine Interpretation von Schuberts Quartetten „Rosamunde“ und „Der Tod und das Mädchen“ im Jahr 2021 wurden von internationalen Kritikern ähnlich gefeiert wie seine früheren Aufnahmen von Debussy-, Ravel– und Dutilleux-Quartetten sowie sämtlicher Schumann-Streichquartette. In der aktuellen Besetzung mit Omer Bouchez und Elise Liu an den Geigen, Bratschistin Lou Yung-Hsin Chang und Cellist Yan Levionnois schreibt das Quatuor Hermès eine klangvolle Geschichte fort, die gemessen an ihrer Bedeutung immer noch zu selten gehört wird. Vielleicht deshalb, weil es sich abseits aller virtuosen Kraftmeierei traut, die Musik für sich selbst sprechen zu lassen.

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