Dass der Name Vsevolod Zaderatsky weitgehend unbekannt und vergessen blieb, liegt nicht etwa daran, dass der russische Komponist nur wenige oder gar schlechte Werke hinterlassen hätte. Ganz im Gegenteil überrascht eher die Tatsache, dass wir seine Stücke heute überhaupt hören können. Im Gegensatz zu anderen von der russischen Regierung verfolgten Komponisten wie Prokofjew oder Rachmaninow wurden die Werke von Zaderatsky weder gedruckt noch vor einem größeren Publikum zur Aufführung gebracht. Viele seiner Manuskripte wurden im Zuge seiner Festnahmen zerstört.
Vsevolod Zaderatsky: Komponieren unter Repressionen
Vsevolod Zaderatsky wurde 1891 in eine Adelsfamilie hineingeboren. Für sein Klavier- und Kompositionsstudium ging er ans Moskauer Konservatorium. 1915 wurde er gebeten, als Klavierlehrer für den Zarensohn und Thronfolger Alexej Romanow in Sankt Petersburg zu arbeiten. Zwei Jahre lang pendelte er zwischen den Metropolen hin und her, bis er wegen des Ersten Weltkriegs von der Kaiserlich Russischen Armee eingezogen wurde.
Vermutlich war es seine Arbeit als Klavierlehrer, die ihn ins Visier der zarenfeindlichen Mächte rückte, denn bald folgte eine Zeit der Repression: Bis Ende der dreißiger Jahre war Zaderatsky Bürger ohne Wahlrecht, was einer Rechtlosigkeit gleichkam. Zudem wurde er 1926 ohne Nennung eines Grundes festgenommen und zwei Jahre lang inhaftiert, seine Manuskripte wurden ausnahmslos zerstört. Nach seiner Freilassung durfte Zaderatsky für vier Jahre nach Moskau reisen, wo er sich der Association for Contemporary Music (ACM) anschloss. Diese Organisation, in der sich russische Komponisten für avantgardistische Musik einsetzten und unter anderem Dimitri Schostakowitsch Mitglied war, wurde jedoch kurze Zeit nach Zaderatskys Einstieg von den Kommunisten verboten.
Wiederentdeckung seiner Werke
Während des sogenannten „Großen Terrors“ wurde Zaderatsky 1937 erneut festgenommen. Er wurde wegen der „Verbreitung faschistischer Musik“ schuldig gesprochen und in ein Arbeitslager deportiert, aus dem er zwei Jahre später freikam. Ausgerechnet in diesem Gulag schrieb er eines seiner bedeutendsten Werke: die „24 Präludien und Fugen“ für Klavier. Es zählt gleichzeitig zu den ersten Stücken, in denen die barocke Gattung der Fuge wiederverwendet wurde – lange bevor Schostakowitsch 1950 seinen gleichnamigen Zyklus schrieb.
Bei den Recherchen für die Zeitschrift „Osteuropa“ zu einem Beitrag über russische Komponisten im sibirischen Gulag stieß der russische Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov 2007 auf Zaderatskys Werke und begann sich intensiver mit ihnen auseinanderzusetzen. Nemtsov brachte die „24 Präludien und Fugen“ 2015 bei den Internationalen Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch zur Uraufführung. Kurz vorher gab es eine Voraufführung in Moskau, wo das Werk 2016 erstmals gedruckt wurde. In Russland sprach man von der „verlorenen Klassik des 20. Jahrhunderts“.
OPUS KLASSIK für „Editorische Leistung des Jahres“
Inspiriert von dessen Arbeit nahm Jascha Nemtsov die Klavierwerke Zaderatskys auf und veröffentlichte sie unter dem Namen „Legends – Vsevolod Zaderatsky: PianoWorks“. Auf insgesamt fünf CDs finden sich unter anderem die „24 Präludien und Fugen“ sowie die Zyklen „Die Heimat“ und „Die Front“, in denen Zaderatsky seine eigenen Erlebnisse des Krieges und der Gefangenschaft verarbeitet. Gefühlvoll und intensiv interpretiert Nemtsov die melancholischen und teils düsteren Werke. Für diese Aufnahme wird der Pianist am 14. Oktober mit dem OPUS KLASSIK in der Kategorie „Editorische Leistung des Jahres“ ausgezeichnet.
Jascha Nemtsov spielt Präludium und Fuge in a-Moll aus Zaderatskys „24 Präludien und Fugen“: