Musik von Mozart, Beethoven oder Brahms den ganzen Tag im Radio hören, freitagabends ins philharmonische Konzert gehen und mit dem großen Bruder Partituren von Tschaikowsky bis Mahler studieren: Das Leben von Marzena Diakun scheint einer beruflichen Vorsehung zu folgen. Schon in frühen Kindheitstagen begeisterte sie sich für die mächtige Klangwelt des Orchesters, dessen Lautstärke und die Vielzahl der Musiker. Die Dirigenten am Pult kamen der damals Siebenjährigen wie Magier vor. Schnell war klar: Sie will nicht im Orchester spielen, keine Solosonaten reproduzieren, nein, sie will diese Klangmagie selbst erzeugen.
Der erste Schritt dorthin war eine Klavierausbildung an der Musikschule ihrer Heimatstadt Koszalin, der zweite das Dirigierstudium in Breslau – in der Retrospektive ein großes Glück bei nur wenigen Dirigierschülern jährlich, so Diakun. Und was als Traum eines kleinen Mädchens begann, ist heute Profession. Ungebrochen begeistert sich die Polin für die schier unendlichen Möglichkeiten emotionaler Ausdruckskraft und die klangliche Vielfalt jener Kunst.
![Marzena Diakun,lehrt an der Universität in Breslau Dirigieren](https://www.concerti.ch/wp-content/uploads/2025/01/marzena-diakun-2-c-marco-borggreve-1365x2048.jpg)
Die Frage, woran sich gutes Dirigieren bemessen lässt, ist auch für Diakun schwer zu beantworten. Gewiss gehört ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit dazu, denn alleine die Technik macht noch keine gute Musik. Auf der anderen Seite ist akademische Bildung für das Verständnis unerlässlich, um ein Werk auch historisch einordnen zu können. Alle diese Aspekte sind auf das Ziel gerichtet, „die Wahrheit und die Schönheit des Werks zu erkennen. Schließlich ist man der Idee des Stücks verpflichtet.“
Eine Kunst, die Geduld und Überzeugungskraft benötigt
Die Sicht auf das, was zwischen den Notenzeilen geschrieben steht, versucht Marzena Diakun, die an der Universität in Breslau inzwischen selbst unterrichtet, ihren Schülern zu vermitteln. Diese müssten vor allem Werkzeuge finden, sich selbst auszudrücken. Schließlich erfordere das Dirigieren Hingabe und Charakter – beides entwickele sich erst durch Lebenserfahrung.
Wie anspruchsvoll das sein kann, hat die Dirigentin schon selbst erfahren. Ehrfürchtig erinnert sich Diakun, die das Arbeiten mit verschiedenen Orchestern liebt, zurück an die Zusammenarbeit mit dem Orchestre National de Lyon. Jährlich wird beim Festival Berlioz in dessen Heimatstadt La Côte-St. André die „Symphonie fantastique“ gespielt – ein Werk, das fest verankert ist im Repertoire der Lyoner. Dort die eigenen Ideen einzubringen, stieß zunächst auf Widerstand. Geduld und Diplomatie waren gefragt, um das Lyoner Orchester von den eigenen Vorstellungen zu überzeugen.
![Ständig auf der Suche nach neu zu entdeckendem Repertoire: Marzena Diakun](https://www.concerti.ch/wp-content/uploads/2025/01/marzena-diakun-4-c-marco-borggreve-1408x938.jpg)
Ob man eine ganze Woche oder nur zwei Proben für das Einstudieren eines Programms benötigt, sei letztlich eine Frage des Niveaus. „Beim Gastieren schaffen es nur wenige Dirigenten, einen eigenen Klang zu kreieren. Als Chefdirigentin oder -dirigent mit eigenem Orchester und langfristiger Arbeit ist es aber möglich“, ist Diakun überzeugt, die bereits an den Pulten zahlreicher Ensembles stand.
Der wahre Wert eines Werks
Ob Neue Musik oder polnische Komponisten der Romantik und Moderne, die es wiederzuentdecken gilt: Marzena Diakun hat Freude daran, neues Repertoire und große Meisterwerke zu erarbeiten. „Es spielt keine Rolle, welcher Nationalität der Komponist angehört oder welches Geschlecht er oder sie besitzt. Die Musik soll einfach nur gespielt werden, weil sie herausragend ist.“ So erfreut sie auch das stetige Interesse an Persönlichkeiten wie Grażyna Bacewicz, deren Werke zunehmend auf den Programmen zu finden seien.
Zukünftig möchte Marzena Diakun sich den Sinfonien Bruckners und Mahlers widmen – Musik, die Erfahrung und Tiefe verlangt. Denn gerade Bruckners gravitätische Ausmaße, seine stringente Formensprache und die scheinbar unerwartete Einfachheit wirken schnell ermüdend. Doch sie sei nun im richtigen Alter, um sich mit ihrer Erfahrung jedes Werk erschließen zu können, versichert die 43-jährige Dirigentin – und verrät schmunzelnd: „Sobald die ersten weißen Haare auf dem Kopf erscheinen, dann darf man anfangen, Bruckner zu dirigieren.“