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Porträt Luzerner Sinfonieorchester

Vom Südpol in die Stadt

Das Luzerner Sinfonieorchester startet mit seinem neuen Chefdirigenten am Vierwaldstätter See durch.

vonSusanne Bánhidai,

Es sind nur ein paar Gehminuten vom ­Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) am Vierwaldstättersee bis zur Bushaltestelle am Bahnhof. Von dort fährt man mit der Linie 14 Richtung Pilatus-Berg zum „Südpol“. So heißt die Haltestelle im Gewerbegebiet Kriens, wo das neue Zuhause des Luzerner Sinfonieorchesters steht. Im Sommer 2020 konnte der Betonbau bezogen werden: außen funktional, innen lebendig. Hier ist nicht nur Platz, sondern Raum.

Intendant Numa Bischof Ullmann ist seit 2003 im Amt und hat das Grundverständnis des ­Orchesters neu ausgerichtet. Unermüdlich arbeitet er daran, nicht von Subventionen abhängig zu sein. Das Budget hat sich seit Amtsantritt fast verdoppelt – selbst verdient durch Gastspiele, Ticketverkäufe und privates Engagement regionaler, nationaler und mittlerweile auch internationaler Förderer. Bischof Ullmann hält das Mäzenatentum für die beste Lebensversicherung, ohne die Unterstützung der öffentlichen Hand gering zu schätzen. Auch ein klassischer Freundeskreis wuchs auf tausend Mitglieder an. So wird eine enge Verbindung zum Publikum geschaffen. „Wir nehmen es in die Hand, wir warten nicht, bis es gemacht wird“, so sein Verständnis der Institution Sinfonieorchester. Diese Eigeninitiative ist sehr wichtig, denn der 1806 gegründete Klangkörper ist nicht nur Residenz-Orchester des KKL, sondern auch Veranstalter beispielsweise des Festivals „le ­piano symphonique“.

Eine Wegmarke innerhalb dieser stetigen Weiterentwicklung war der Bau des Orchesterzentrums Kriens. Der Anspruch, Spitzenklasse zu sein, ließe sich nur mit der entsprechenden Infrastruktur erreichen, so Bischof Ullmann. Die Stiftung errichtete neben der Musikhochschule Luzern und dem Kulturzentrum „Südpol“ sein Orchesterhaus, vis-à-vis befindet sich außerdem der größte Musikalienhändler der Stadt. Übezellen, Konferenzräume, Notenarchiv, Instrumentenlager, Orte für die Musikvermittlung sowie als Kernstück des Gebäudes der mit Eichenholz ausgestattete Orchesterprobensaal sind hier untergebracht. 5 000 Kubikmeter geben beste akustische Voraussetzungen für professionelles Arbeiten, für Aufnahmen und für Konzerte in kleineren Besetzungen: Die Kammermusik ist eine wichtige Facette für das vielseitige Orchester und wird vom neuen Chefdirigenten explizit gefördert.

„Wir testen Antennen und Interaktion“

Zu Beginn seiner Amtszeit 2021/22 ist Michael Sanderling mitsamt seiner Familie nach Luzern gezogen. Beim Gespräch über das Orchester kommt der Dirigent ins Schwärmen, lobt die herausragende Qualität jedes Einzelnen und die Fähigkeit der Musiker, sich zu verausgaben. „Sie kommen mit einem überdurchschnittlichen Einstiegsniveau in die erste Probe. Das Orchester ist sehr flexibel, weil es nicht nur Sinfonien spielt, sondern auch Opernvorstellungen bestreitet. Es zeigt große Bereitschaft, Dinge mal auszuprobieren, sei es eine bestimmte Passage in der Partitur oder die Art, wie wir eine Stelle neu besetzen.“ Beim Auswahlprozedere hat Sanderling nämlich die Prioritäten etwas verschoben. Die solistischen Fähigkeiten stehen bei ihm an zweiter Stelle, während das Miteinander einen hohen Stellenwert einnimmt. Wieder kommt die Kammermusik ins Spiel: „In einem kleinen Ensemble testen wir Antennen und Interaktion.“ Dabei verschränkt Sanderling die Finger seiner Hände und zeigt damit: Das Orchester soll sich intern verzahnen und nicht nur auf ihn ausgerichtet sein, ohne dass er seine Führungsrolle außer Acht lässt. „Man sagt mir Klarheit in der Sprache nach, aber keine einengenden Ansagen. Mir kommt zugute, dass ich als mäßig begabter Instrumentalist weiß, wie man übt und methodisch-didaktische Effizienz herstellt.“ Ein Understatement, denn Sanderling spielte als Cellist nicht nur achtzehn Jahre im Orchester, sondern trat auch solistisch in Erscheinung.

Malerische Stadt mit erlesener Musik: Luzern
Malerische Stadt mit erlesener Musik: Luzern

Mit dem Engagement in Luzern fiel Sanderling mitnichten ins kalte Bergseewasser. Seit 2010 kam er immer wieder als Gastdirigent nach Luzern und leitete das Orchester auf einer Tournee durch Korea. Die Entscheidung für ihn fußt auf lang aufgebautem Vertrauen und ist mit einer klaren Zielsetzung verbunden, nämlich der Erweiterung des Repertoires um die große deutsche Romantik. Möglich macht das eine Vergrößerung des Orchesters, zuerst von fünfzig auf siebzig, jetzt auf beinahe hundert Stellen. Brahms– und Bruckner-Sinfonik bestimmen die Zukunft. Das Repertoire liegt auch Sanderling am Herzen. Mit der Dresdner Philharmonie, wo er bis 2019 Chefdirigent war, dirigierte er viele sinfonische Werke Beethovens und Schostakowitschs, so dass sich mit der deutschen Romantik auch für ihn eine Lücke schließt. Gleichzeitig geben sich Orchester und Dirigent ihrer Lust nach zeitgenössischen Werken, Uraufführungen und Experimenten hin. Die szenische Umsetzung von Schostakowitschs zehnter Sinfonie unter der Regie des südafrikanischen Künstlers William Kentridge ist nur ein Beispiel für die Risikobereitschaft der Schweizer.

Außerdem hat Sanderling auch sein zukünftiges Publikum im Blick: „Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um unsere Musik nicht zu elitär wirken zu lassen“, betont er und berichtet sogleich begeistert von seinen Begegnungen mit Schulklassen. Bereits 2004 schuf das Luzerner Sinfonieorchester als erster Schweizer Klangkörper eine feste Stelle in dem stets wachsenden Bereich der inklusiven Vermittlungsarbeit. Mittlerweile lädt die Abteilung nicht nur auf den Musik-Campus am „Südpol“ ein, sondern trägt die Klassik-Begeisterung auch mit einem mobilen Musikbus in entlegene Täler der Region rund um den Bergsee.

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