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Porträt Karl Jenkins

Der Mann der vielen Karrieren

Karl Jenkins ist Komponist, Oboist, Jazzmusiker und stürmte in den Neunzigern die Pop-Charts. In Berlin möchte der Waliser nun die Massen für den Frieden begeistern

vonEcki Ramón Weber,

In den neunziger Jahren war einer der eindrucksvollsten TV-Werbespots jener der US-Fluglinie Delta Airlines: Szenen mit Delphinen im Meer und Flugzeugen vor strahlend blauem Himmel. Dazu ein hymnischer, betörender, sehnsuchtsvoller Chorgesang, unterstützt von satten Orchesterklängen über einem suggestiv pulsierenden Rhythmus. Das klang nach Südsee und gleichzeitig nach den Weiten der Mongolei. Oder doch nach einem Township in Johannesburg? Doch dieser Song „Adiemus“ war weder ein Fund einer Weltumsegelung noch das Ergebnis musikethnologischer Forschungen.

Kreativer Kopf dahinter war ein freundlicher, etwas schüchterner Herr aus Wales: Karl Jenkins, Vollblutmusiker mit großer Neugier und Offenheit. Der ganz genau hinhörte, wenn seine Kollegen aus allen Gegenden der Erde im Schmelztiegel London spielten. Der bis in die Details wissen wollte, wie sie ihre Klänge erzeugten. Und der diese Stile schnell lernte. Das Ergebnis war nicht nur der Song, sondern Karl Jenkins’ Projekt Adiemus, das die Einflüsse der Weltmusik mit sinfonischem Sound und Chorgesang verband und damit erfolgreich die internationalen Charts stürmte. Doch als er mit Adiemus Erfolge feierte, hatte Karl Jenkins bereits vorher mehrere Karrieren aneinandergereiht.

Eine Mischung aus Klassik und Weltmusik

Jenkins, Jahrgang 1944, erhielt den ersten Unterricht auf dem Klavier und in Musiktheorie in seinem walisischen Heimatdorf beim Vater, der Musiklehrer, Organist und Kantor war. Danach lernte Karl die Oboe, spielte in Jugendorchestern, studierte an der University of Wales in Cardiff und wurde Erster Oboist im National Orchestra of Wales. Schon als Teenager entdeckte er den Jazz als Leidenschaft und bewegte sich nach dem Postgraduiertenstudium an der Londoner Royal Academy ab Mitte der sechziger Jahre in der britischen Jazzszene: Zunächst in der Jazzrockgruppe Nucleus, später bei der einflussreichen Fusion-Band Soft Machine, als Komponist, Keyboarder, Oboist und Saxofonist.

Als in den Achtzigern auch im europäischen Mainstream das Interesse an Weltmusik aufkam, war Jenkins als Komponist, Arrangeur und Produzent mitten im Geschehen, schuf Filmmusik und Stücke für die Werbebranche. Er reicherte seine Klang- und Ausdruckspalette mit japanischen und südamerikanischen Flöten an, studierte indische Ragas, die Schlagtechniken von Tablas und arbeitete mit Sängern, die Erfahrungen in traditionellen Gesängen Südafrikas hatten. Dank Karl Jenkins’ Hintergrund als klassisch ausgebildeter Musiker mit jahrelanger Praxis in der Wendigkeit des Jazz entstand eine einzigartige Mischung – die Signatur des Crossover-Projekts Adiemus. „Adiemus verband wirklich die Stile“, sagt Sir Karl heute rückblickend, „Wir stellten diesen Sound zusammen und ich entwickelte diese Fantasiesprache mit erfundenem Text aus Phonemen, ein bisschen wie Scat-Gesang im Jazz.“ Musikalisches Esperanto im besten Sinne.

Karl Jenkins
Karl Jenkins © Rhys Frampton/ EMI Classics

Karl Jenkins: Auseinandersetzung mit europäischer Musiktradition

Sir Karl Jenkins ist heute international preisgekrönt, mit zahlreichen Platin- und Goldalben ausgezeichnet und hochgeehrt. 2015 wurde er in seiner Heimat als Knight Bachelor in den Ritterstand erhoben für seine „Verdienste um die Komposition und die Überschreitung musikalischer Grenzen“. Klassikstars wie Sir Bryn Terfel und Dame Kiri Te Kanawa haben seine Werke interpretiert. Das Projekt Adiemus betrachtet Jenkins rückblickend als wichtigen Schritt in seiner künstlerischen Entwicklung: „Die beiden entscheidenden Momente in meinem Leben waren die Gründung von Adiemus und einige Jahre später der Auftrag, „The Armed Man“ zu schreiben“, sagt der Komponist.

Mit „The Armed Man. A Mass for Peace“, 2000 in der Royal Albert Hall uraufgeführt, setzte sich Jenkins mit der Tradition europäischer Chor-Orchesterwerke auseinander und verarbeitete gleichzeitig vielfältige musikalische Einflüsse. Seitdem hat er mehrere solcher großformatiger Chorwerke geschrieben, etwa das Requiem von 2005, bei dem Gregorianik auf japanische Haikus und die Bambusflöte Shakuhachi trifft. Oder sein „Stabat mater“, 2008 uraufgeführt, bei dem Instrumente aus dem Nahen Osten zum Einsatz kommen.

Eine Messe über Krieg und Zerstörung

Der Impuls zu „The Armed Man“ kam Ende der neunziger Jahre als Auftrag des Royal Armouries Museum, des Nationalen Museums für Waffen und Rüstungen, für die Millenniumfeiern in London. Es war die Zeit des Kosovokriegs, und der Gedanke an die Schrecken dieses Konflikts sei bei der zweijährigen Arbeit unablässig präsent gewesen, erzählt Jenkins. „The Armed Man“ thematisiert die Kriegsmaschinerie, die Zerstörung, beklagt das Leid und schöpft am Ende mit einem Friedensappell Hoffnung für ein Umdenken der Menschheit. Das Werk ist eines der am meisten aufgeführten Chorwerke überhaupt, Sänger weltweit interpretieren es. Der Titel bezieht sich auf das vor Jahrhunderten populäre Chanson „L’homme armé“. Zahlreiche Renaissancekomponisten benutzten es als Cantus firmus in Messvertonungen, nicht zuletzt Giovanni Pierluigi da Palestrina, aus dessen „L’homme armé“-Messe Jenkins in „The Armed Man“ zitiert.

Großformal folgt Jenkins’ Komposition ebenfalls der Tradition der Messvertonung, verbindet dies jedoch mit Elementen verschiedener Kulturen und Religionen. So tritt bei „The Armed Man“ ein Muezzin mit einem Gebetsruf auf, es gibt Einflüsse aus verschiedenen traditionellen Gesängen der Welt, zudem Anleihen aus historischer Militärmusik, eine Fanfare zum Totengedenken, getragene Elegien und leidenschaftliche Anrufungen. Die Texte in „The Armed Man“ reichen von den biblischen Psalmen über Auszüge des indischen Epos „Mahabharata“ bis zu einem Gedicht über Hiroshima.

Konzertaufführungen in zwei ehemals verfeindeten Ländern

In Berlin kommen am 2. November 2.000 Chorsänger aus bislang 27 Ländern zusammen, um die Messe mit dem World Orchestra for Peace unter der musikalischen Leitung von Jenkins aufzuführen. „Es ist ein Konzert für Frieden“, sagt Karl Jenkins. „Wir wollen an das Ende des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren erinnern und hatten deshalb die Idee, in zwei ehemals verfeindeten Ländern mein Stück aufzuführen.“ Im Vereinigten Königreich gab es Anfang Oktober in Swansea, einer Hafenstadt in Wales, die Darbietung von „The Armed Man“, dort zusammen mit der Uraufführung von Jenkins’ neuem Stück „A Lament for Syria“ auf einen Text der 14-jährigen syrischen Dichterin Amineh Abou Kerech.

Bei der Aufführung in Berlin in der Mercedes-Benz Arena wird als weitere Schicht die neue Version eines Begleitfilms zu sehen sein, der 2007 bei einem Konzert in Johannesburg gezeigt wurde. Der Filmemacher Hefin Owen hat darin historische Filmsequenzen eingesetzt, die den assoziativen Raum für Jenkins’ Komposition aufzeigen – aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Denn leider hat „The Armed Man“ auch heute nichts von seiner Aktualität verloren.

Hören Sie einen Auszug aus Karl Jenkins› „The Armed Man“:

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