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Porträt Emily D’Angelo

Der richtige Moment

Mitten in der Corona-Krise strandete die kanadische Mezzosopranistin Emily D’Angelo in Berlin – ein musikalischer Glücksfall.

vonMatthias Nöther,

Dezember 2020 bis März 2021: Das ist eine Zeit, an die sich Musiker – ob festangestellt oder freischaffend – vermutlich ohne viele Ausnahmen mit unangenehmen Gefühlen erinnern. Keine Konzerte, keine Opernaufführungen, nicht mal inoffizielle Kammermusikproben waren möglich. Die zweite Covid-19-Welle tobt auf der ganzen Welt, in Deutschland ist sie auf ihrem Höhepunkt. Die kanadische Mezzosopranistin Emily D’Angelo hat schon in den Jahren zuvor Engagements an deutschen Bühnen gehabt: an der Deutschen Oper Berlin etwa, wo sie 2019 bei einer Gala der AIDS-Stiftung sang, und an der Staatsoper Unter den Linden, wo sie wenig später ihr Debüt als Cherubino in Mozarts „Figaro“ gegeben hat. Berlin kennt sie also von ihrer Arbeit, sie verbringt den August 2020 wegen eines Projekts wieder hier – und sie entschließt sich, nicht nach Toronto zurückzufliegen. „Das hätte zwei Wochen Quarantäne für mich bedeutet – ich bin also im Herbst letzten Jahres in Berlin gestrandet, wenn auch nicht völlig gegen meinen Willen.“

Denn in den Büros der Universal Music Group am Spree-Ufer gibt es eine Idee, wie man die eigene pandemiebedingte Lähmung bei den Musikproduktio­nen überbrücken kann, und diese Idee hat mit D’Angelo zu tun. Die junge Mezzosopranistin beschäftigt sich mit Hildegard von Bingen, jener mittelalterlichen Mystikerin, deren Musik und deren heilpraktische Methoden vor rund 900 Jahren in Kloster Rupertsberg in Bingen am Rhein entstanden. Emily D’Angelo kennt Hildegards Musik seit Kindheitstagen aus dem Kirchenchor ihrer kanadischen Heimat. „Noch nie hatte ich so etwas gehört, und doch klang es vertraut und richtig.“ Später, als Jugendliche, verblasste dieses Interesse wieder etwas. „Ich wollte immer nur singen – und der Kirchenchor meiner Heimatstadt war der Anfang für mich.“ Ihr Interesse an Musik sei nie auf kirchliches Repertoire beschränkt gewesen: „Meine Entwicklung zur Oper hin ging auf sehr natürliche Art vonstatten. Mich faszinierte die artifiziell überhöhte gesangliche Darstellung, das Zusammenwirken der Künste.“

Emily D'Angelo
Emily D’Angelo

Emily D’Angelo: „Ohne die Pandemie wäre es nicht dazu gekommen.“

Gegensätzlicher als zum Musiktheater können die geistlichen Lieder und liturgischen Gesänge Hildegard von Bingens aus dem Spätmittelalter zu kaum einer Vokalmusik sein. Doch Emily D’Angelo hatte in ihrer Berliner Corona-Zeit die Muße und die Möglichkeit, sich wieder verstärkt mit diesen Klängen zu beschäftigen. „Ohne die Pandemie wäre es nicht dazu gekommen. Alle Entscheidungen, die wir trafen, alle musikalischen Stimmungen dieser Aufnahmen sind ja irgendwie inspiriert von dieser besonderen, schwierigen Zeit.“ Emily D’Angelos Fassung dieser Musik entsteht in Zusammenarbeit mit zwei US-Komponistinnen, die einen Lob­gesang und eine Antiphon Hildegards in ein modernes, teilweise elektronisch angereichertes Klanggewand kleideten. Auch Originalkompositio­nen der beiden Künstlerinnen Sarah Kirkland Snider und Missy Mazzoli sind zu hören und treten zu den Adaptionen mittelalterlicher Musik in einen Gegensatz.

Wie arbeitet es sich, wenn man über viele Monate weit entfernt von der Heimat ein Projekt über eine geistig und zeitlich ebenfalls weit entfernte Künstlerin erstellt? Emily D’Angelo lacht. Es sei wie ein kleiner Hinweis auf die Einsamkeit und Konzentration gewesen, in der Hildegard von Bingens Leben verlief. Planen, Aufnahmen, Üben, über viele Wochen nichts anderes – so sah diese Kostprobe für Emily D’Angelo aus. Ansonsten habe man etwa zwei Wochen Zeit für Proben und Aufnahmen bei so einem CD-Projekt. „In diesem Fall gab mir die Arbeit über lange Zeit eine Struktur für meine Tage – sonst hätte es nichts zu tun gegeben.“ Verständlich, dass man da ­Parallelen zum Klosterleben zieht, zu der Mystikerin, die in der Abgeschiedenheit in süddeutschen Mauern nicht nur für einige Monate, sondern ihr ganzes Leben lang arbeitete – „nur in den eigenen Gedanken, ohne Internet und andere Ablenkungen. Sie war isoliert, sie konnte sich wirklich konzentrieren. Sie widmete ihr Leben dem Glauben, der Musik, der Wissenschaft und Philosophie. Ich habe mir den richtigen Moment dafür ausgesucht, sie genauer kennenzulernen.“

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