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Porträt Emerson String Quartet

Live-Musik für die Seele

Länger und erfolgreicher als die meisten Ehen: Seit vierzig Jahren spielt das Emerson String Quartet fast in der gleichen Besetzung wie zur Gründungszeit

vonChristian Schmidt,

Heutzutage dürfte es praktisch unmöglich sein, im Laufe von Jahrzehnten 52 CDs bei der Deutschen Grammophon aufzunehmen. Das Gesamtwerk des Emerson String Quartets bei dem berühmten Label ist beredter Ausdruck für die Vielfalt des Repertoires, mit dem sich das Streichquartett teils enzyklopädisch, teils historisch kombinierend, in die Musikkataloge spielt. Die Offenheit für Musik unterschiedlichster Stilistiken – zwischen Beethoven- oder Schostakowitsch-Gesamtaufnahmen und moderner Filmmusik ist alles dabei – kommt nicht von ungefähr. Seit dem Gründungsjahr 1976 tragen die vier Musiker den Namen des amerikanischen Naturphilosophen Ralph Waldo Emerson. Der forderte die radikale Erneuerung und geistige Selbstbestimmung der amerikanischen Kultur und machte sich damit zum Anführer der so genannten Transzendentalisten in Neuengland, die ihre Weltsicht frei nach Kant auf Erkenntnisgewinn und humanistische Ideale stützten. In Zeiten eines US-Präsidenten, der noch die letzte öffentliche Kulturförderung in Frage stellt, ist auch das politische Engagement von Künstlern in Amerika gefragter denn je. „Es wird gerade diskutiert, ob man gemeinsame Aktionen auf die Beine stellt, ansonsten können wir nur auf die nächsten Senatswahlen hoffen“, sagt Geiger Philip Setzer trocken.

Ensemblegründung innerhalb weniger Minuten

Das nicht nur musikalische Aufeinandereingespieltsein führte wohl auch dazu, dass bis zum altersbedingten Ersatz des Cellisten vor drei Jahren das Quartett seit nahezu 40 Jahren in unveränderter Besetzung spielt. Dabei wechseln sich Eugene Drucker und Philip Setzer am Pult des Primarius regelmäßig ab, was den Ensemblegeist zusätzlich schult. Dabei ist die Gründungsgeschichte schnell erzählt: „Eines Tages haben wir uns in der Bibliothek der Juilliard School getroffen, wir waren ja alle Absolventen. Dann fragte uns ein Lehrer, ob wir nicht mal in einem Streichquartett zusammenspielen wollten, und innerhalb weniger Minuten war alles ausgemacht“, erinnert sich Setzer. Die Zusammenkunft legte den Grundstein für eine über vier Jahrzehnte anhaltende Erfolgsgeschichte, aus der nicht nur unzählige Aufnahmen entsprangen. Auf dem berühmten Ensemble türmten sich auch bergeweise Preise auf, in der ganzen Welt ist das Streichquartett noch immer unterwegs und setzt mit seiner Fähigkeit, seine Klangfarben auf einer nachgerade chromatischen Skala zu differenzieren, bis heute internationale Maßstäbe.

Emerson String Quartet
Seit 2013 spielt das Emerson String Quartet in dieser Besetzung: Eugene Drucker (Violine), Philip Setzer (Violine), Lawrence Dutton (Viola) & Paul Watkins (Violoncello) © Lisa-Marie Mazzucco

40 Jahre auf der Bühne – das geht nur mit Humor

Doch wie schafft man es, sich auch nach vier Jahrzehnten immer noch gut zu verstehen? „Das ist wie in jeder guten Beziehung“, scherzt Philip Setzer. „Ohne Humor geht es nicht. Auch wenn wir mal diskutieren, ging es am Ende immer um die Sache. Über diese Kontinuität sind wir sehr glücklich, denn die Musik ist immer das Wichtigste.“ Das Repertoire, immer wieder um zeitgenössische Werke erweitert, die das Streichquartett regelmäßig uraufführt, ist sehr breit. „Neue Programmideen sind nirgendwo so einfach zu finden wie bei uns“, sagt Setzer. „Es gibt immer wieder neue Kontexte, historische und musikalische Bezüge, die man beleuchten kann.“ Außerdem habe Beethoven nur eine Oper und neun Sinfonien geschrieben, aber 16 Streichquartette. „So ist das bei vielen Komponisten, und gerade Kammermusik gilt ja als besonders intime Ausdrucksform.“

40 Jahre auf der Bühne – nimmt man da als Kammermusiker einen Wandel des Publikums wahr? „Natürlich werden die Menschen heute attackiert von schnelllebiger Unterhaltung und bruchstückhaften Informationen“, blickt Geiger Philip Setzer zurück. Das beeinträchtige durchaus die Fähigkeit und den Willen zur Konzentration. Aber es gebe auch eine Gegenbewegung: das Interesse, ganz bei sich zu sein. „Unsere Musik ist nicht ständig verfügbar, es gibt einen Unterschied zwischen dem Liveerlebnis und dem Download eines Quartettsatzes aus dem Internet. Mit fortgeschrittenem Alter möchte man Zugang zur Seele finden. Dann fängt man an, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dafür kann ein klassisches Konzert sehr helfen.“

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