Das belgische Collegium Vocale Gent und der Dirigent Philippe Herreweghe bilden und bildeten von Anbeginn eine Einheit und stehen gleichermaßen für klangliche wie stilistische Vielfalt und Qualität. Sie gehören zusammen wie vielleicht sonst noch William Christie und Les Arts Florissants in Frankreich, Ton Koopman und seine Sänger und Musiker von Amsterdam Baroque oder zu dessen Lebzeiten Nikolaus Harnoncourt und der Concentus Musicus Wien.
Alle sind Pioniere, die in der so lebendigen Szene für historische Aufführungspraxis etwas aufgebaut und sich dabei ständig weiterentwickelt haben. 1970 hat Herreweghe seinen Chor gegründet, die Musik hatte sich im Leben des studierten Mediziners und Psychiaters immer mehr in den Vordergrund gedrängt. Statt in die Tiefen der menschlichen Seele dringt der Dirigent mit der charakteristischen runden Brille, der stets ohne Stab und ohne Podium im Kreise seiner Sänger und Musiker agiert, in die Geheimnisse der Partituren, der barocken und klassischen Rhetorik und des warmen romantischen Klangs vor.
Collegium Vocale Gent: Vom Studentenchor zum international gefeierten Vokalensemble
Hatte sich das Collegium Vocale Gent, ursprünglich eine Gruppe von Studenten der Universität Gent, in den ersten Jahren mit der Musik der Renaissance und des Barock mit dem Zentrum Johann Sebastian Bach auseinandergesetzt – Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt luden den Chor schon früh zu den Gesamtaufnahmen aller Bachkantaten –, so hat sich das Repertoire über die Jahre umfassend erweitert. Aus dem Studenten chor wurde ein professioneller Kammerchor, für die Oratorien und Requien der Romantik wird die Besetzung erweitert: Vom Solistenensemble etwa in den Madrigalen Monteverdis bis zum großen Klangkörper bei Dvořák oder Brahms ist die Größe des jeweiligen Ensembles flexibel und den klanglichen Erfordernissen des Werks, der Epoche wie des Aufführungsortes angepasst. Der Klang ist stets warm, wohlab gerundet, schlank und beweglich bei großer Textdeutlichkeit, eine Freude für alle Freunde der Chormusik!
Längst werden die Chormitglieder bei anspruchsvollen Vorsingen ausgewählt, viele junge Solisten wie Dorothee Mields, Ulrike Hofbauer oder Hans Jörg Mammel haben ihre Laufbahn in Herreweghes Ensemble begonnen oder werden von ihm als Solisten engagiert. Zum Collegium Vocale Gent hat Herreweghe auch verschiedene Originalklangensembles wie die Chapelle Royale oder das Orchestre des Champs Elysées aufgebaut. Dazu wird der Chor immer wieder von anderen Dirigenten und Orchestern zu Konzerten und Festivals eingeladen, um die großen Chorwerke zu verwirklichen. Die umfangreiche Diskografie reicht von den Madrigalen und Motetten von Claudio Monteverdi, Carlo Gesualdo oder Orlando di Lasso über die Oratorien, Messen und Kantaten der Bachfamilie bis hin zu den großen Werken der Romantik und des 20. Jahrhunderts. Im vergangenen Jahr ließen Einspielungen von Strawinskys zwölftönigen „Threni» und seines „Requiem Canticles» unter Herreweghe sowie Janáčeks „Ríkadla» unter der Leitung von Reinbert de Leuw aufhorchen.
Neue Hörerfahrungen auch für Kenner
Bei aller Entdeckerfreude und stilistischen Vielseitigkeit, die das Collegium Vocale Gent über die Jahre bewiesen hat, ist und bleibt aber doch das Gesamtwerk von Johann Sebastian Bach im Zentrum. Im Dezember musizierten sie die h-Moll Messe gemeinsam mit dem Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam, im Februar steht in der Semperoper mit der Staatskapelle Dresden die Johannes-Passion in der unbekannteren Fassung aus dem Jahr 1725 auf dem Programm. So werden auch Kenner des Werks neue Hörerfahrungen machen können.
Und Philippe Herreweghe, sein Collegium Vocale Gent und eine Reihe hochkarätiger Solisten zeigen einmal mehr, dass die Beschäftigung mit Bachs Werk immer wieder neu ist. Die Dramatik der Turba Chöre, die Interaktion zwischen dem Evangelisten (Maximilian Schmitt), Christus (Krešimir Stražanac), Pilatus und Judas, die Arien und nicht zuletzt die Choräle bringen das Passionsgeschehen auf eindrücklichste Weise nahe.
Das Collegium Vocale Gent singt Bach:
https://youtu.be/h1ETuizQBGQ