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Porträt Christophe Rousset

Ruhiger Revoluzzer trumpft mit Karnevalsoper auf

Christophe Rousset wagt mit Les Talens Lyriques den Marsch durch die Institutionen.

vonPeter Krause,

Wer die Karriere von Christophe Rousset verstehen will, kommt um einen Vergleich mit der Politik kaum herum. Zwar war der französische Cembalist, Musikforscher und Dirigent noch ein Kind, als Rudi Dutschke 1967 seine politisch-strategische Methode einer schrittweisen linken Revolu­tion in den gesellschaftlichen Diskurs einführte. Heute – Deutschland hat eine grüne Außenministerin und einen grünen Wirtschaftsminister – scheint der „Marsch durch die Institutionen“ großteils verwirklicht. Und dies scheint für die politische wie die musikalische Welt gleichermaßen zu gelten. Natürlich schippern manche großen Opernhäuser immer noch als Tanker der Tradition durch die Weltmeere des Musiktheaters. Doch die Durchlässigkeit für die freie Szene von Spezialensembles wie Les Talens Lyriques haben sich die Experten der Alten Musik über Jahre mutig erkämpft. So gab Rousset mit den Seinen jüngst erfolgreiche Debüts an der Wiener Staatsoper und der Mailänder Scala, wozu die Intendanten die renommierten Hausorchester quasi in Kurzarbeit schickten.

Ist der Meister für alles Barocke heute ohne Unterlass als Missionar französischer Kostbarkeiten unterwegs, galt der Gründungsimpuls für sein Ensemble 1991 noch ganz der italienischen Musik, zumal den Meisterwerken der Opera seria. Damals war dieses Feld noch wenig beackert, man konnte echte Entdeckungen machen. Rousset steht dafür, die Alte Musik Italiens nach Frankreich gebracht zu haben. Der Farinelli-Film von 1994, für den er mit Les Talens Lyriques den Soundtrack einspielte, vergrößerte das Bewusstsein für die Preziosen des südlichen Nachbarlandes seiner Heimat enorm, machte sein Ensemble einem breiten Publikum jenseits des Alte-Musik-Zirkels bekannt. Als ruhiger Revoluzzer dehnt Rousset seit einiger Zeit sein Betätigungsfeld noch weiter aus und erobert sich das deutsche Repertoire, etwa beim Leipziger Bachfest mit dem Programm des legendären Familienkonzerts, mit dem Carl Philipp Emanuel Bach anno 1786 Musik von Papa Bach und dessen Kollegen Händel mit effektvollen eigenen Novitäten garnierte. Bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci wiederum ist eine sensationelle Ausgrabung zu erleben: Carlo Pallavicinos venezianische Karnevalsoper „Le Amazzoni nell’isole ­fortunate“.

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