Es geht nach oben auf dem Weg in die Unterrichtsklasse des Artemis Quartetts in der Berliner Universität der Künste. Bratschist Gregor Sigl und die Violinistin Suyoen Kim steuern die unprätentiöse Nebentreppe an, sind sich auf Anhieb einig. Beide wirken wie ein perfekt eingespieltes Team, doch Kim ist erst vor Kurzem zu dem 1989 gegründeten Quartett hinzugestoßen. Die Vorgeschichte: Pünktlich zum dreißigjährigen Jubiläum des Ensembles erreichte die Klassikwelt die Nachricht vom Ausscheiden des Cellisten und letzten verbliebenen Gründungsmitglieds Eckard Runge und der Violinistin Anthea Kreston.
Abschied und Neubeginn
Mit Kim und der Cellistin Harriet Krijgh sind schnell zwei Neumitglieder gefunden, anschließend ging es auf Abschiedstournee, die man kurzerhand als Sextett spielte. Eine Staffelübergabe, die sowohl für die ausgeschiedenen Kollegen als Geste der Dankbarkeit als auch für die beiden Neumitglieder als Willkommensgeschenk zu verstehen war, wie Sigl rückblickend berichtet. „Nun sind wir wieder in der Situation, in der wir alle vier mit demselben Enthusiasmus und derselben Neugier die Sache anpacken.“ Sigl vergleicht das Quartettspiel gerne mit Hochleistungssport, bei dem nur ein geringer Prozentteil der Leistung einen großen Unterschied macht. „Das sind schwer zu beschreibende Winzigkeiten, die für uns als Quartett dann doch die Welt bedeuten.“
Jetzt steht also alles auf Anfang beim Artemis Quartett, und doch betonen Sigl und Kim, dass sie in jedem Fall eine Fortsetzung der lange erarbeiteten Ideale des Quartetts anstreben. Es geht um Kontinuität. Schon seit der Gründung an der Lübecker Musikhochschule zählt einzig das Kollektiv der Mitglieder: Gleichberechtigung in allen vier Stimmen, wodurch das Quartett – in seiner dreißigjährigen Karriere geprägt durch die Persönlichkeiten seiner Mitglieder – heute als maßgebend in der internationalen Kammermusikszene wahrgenommen wird. „Diesen grundsätzlichen Geist gilt es zu bewahren“, hebt Sigl entschieden hervor.
Bedingungsloses Zusammenspiel
Für Kim war die Entscheidung, als festes Mitglied einzusteigen, daher nicht leicht. „Der Druck am Anfang war sehr hoch. Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich es wirklich kann.“ Fortan soll einzig das bedingungslose Musizieren im Mittelpunkt stehen. Dass die Vier dabei mehr der Musik als unbedingt dem Publikum entsprechen mögen, ist ein Grundsatz, den das Quartett nicht aufgeben möchte. Zusammen wird bis ins letzte Detail am Zusammenspiel, an Klangfarben und Atmosphäre getüftelt, in den Proben mit Ton- und Videoaufzeichnung gearbeitet oder die Meinung vertrauter Künstlerpersönlichkeiten eingeholt, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Dabei liegt die Schwierigkeit laut Sigl darin, den eigenen Quartettklang nie objektiv und mit den Ohren eines Konzertbesuchers wahrnehmen zu können. Das Potenzial der neuen Besetzung spüren beide jetzt schon, man gibt sich dennoch Zeit, bis tatsächlich jede Bogenbewegung für den anderen zur Selbstverständlichkeit wird. Von dem 2015 verstorbenen Bratschisten des Quartetts, Friedemann Weigle, ist Sigl der Satz in Erinnerung geblieben, dass ein Quartett fünf Jahre braucht, bis es wirklich zusammenspielen würde. Und auch in diesem Punkt sind sich Kim und Sigl wieder einig: „Eine blinde Vertrautheit auf allen Ebenen des Zusammenspiels muss erst wachsen“, erzählt die Violinistin gelassen. „Aber zu wissen, dass da noch etwas kommt, was darauf wartet, entdeckt zu werden, ist einfach toll.“