Klarinette, türkisfarbene Fingernägel, Yoga und eine Tasse Tee. Mit diesen Attributen könnte man die Klarinettistin Annelien Van Wauwe charakterisieren – zumindest auf dem ersten Blick. Wenn man sie allerdings musizieren hört, denkt man die Worte des Komponisten Christian Friedrich Daniel Schubart, der 1784 schrieb: „Wer die Klarinette seelenvoll bläst, scheint der ganzen Welt, den himmlischen Wesen selbst eine Liebeserklärung zu machen“. Dennoch zeigt ihre Online-Videoreihe „Wauw! Warm Up“, dass Van Wauwe sehr wohl einiges für die Kunst des Yoga übrig hat, mit der sie Atmung, Körperhaltung, Konzentration und Kondition übt, alles wichtige Voraussetzungen für eine gelungene Interpretation. Sie liebt es „hot“: das anstrengende Bikram Yoga etwa, bei dem „eine Stunde lang in einem auf vierzig Grad erhitzen Raum“ trainiert wird, bis das Herz rast – wie „auf der Bühne in einem Konzert“. Passend zu ihrer Leidenschaft hat der belgische Komponist Wim Henderickx ein Klarinettenkonzert für sie geschrieben. „Sutra“ nannte er es nach den Leitsätzen der buddhistisch spirituellen Tradition. Im Frühjahr 2022 wird sie das Konzert in Glasgow mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra unter Martyn Brabbins uraufführen und es dann, kombiniert mit Mozarts Klarinettenkonzert, beim Label Pentatone mit der NDR Radiophilharmonie Hannover unter Andrew Manze einspielen.
„Stiftung Warentest für Musiker“
Als junges Mädchen träumte die Tochter eines Rechtsanwalts und einer Protokollantin im flämischen Parlament von einer Karriere als Leichtathletin. Doch eine Verletzung machte dies zunichte, und so konzentrierte sie sich nach der Blockflöte auf die Klarinette. „Ihr Klang erinnert mich an die menschliche Stimme, und ich habe immer gerne gesungen“, erzählt sie. Der zweite Preis beim ARD-Wettbewerb 2012 – ein Erster war nicht vergeben worden – bestätigte sie in ihrer Berufung. Wettbewerbe seien für sie wie eine „Stiftung Warentest für Musiker“, sagt sie in akzentfreiem Deutsch. Man hört ihr wirklich nicht an, dass sie im belgisch-flämischen Hamme aufwuchs. Vielleicht liegt dies auch an der Musikhochschule in Lübeck, an die sie 2004 mit siebzehn Jahren kam, um bei Sabine Meyer zu studieren. Noch heute steht sie mit ihr in Kontakt und bezeichnet sie als „zweite Mutter“. 2009 setzte Van Wauwe ihre Ausbildung am Pariser Konservatorium bei Pascal Moraguès fort und ab Januar 2010 an der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom bei Alessandro Carbonare. Anschließend ging es an die Hochschule für Musik Hanns Eisler nach Berlin. An der Musikhochschule Trossingen erwarb sie Kompetenzen in der historischen Aufführungspraxis.
Hat immer eine Yogamatte im Gepäck: Annelien Van Wauwe
In den letzten Jahren folgten weitere wichtige Stationen. Neben ihrer Berufung 2018 zur Dozentin für moderne Klarinette am Königlichen Konservatorium Antwerpen – heute unterrichtet sie auch in Den Haag – gründete sie mit zehn anderen Musikern das Brüsseler Kammermusikensemble Carousel, das in unterschiedlichen Besetzungen vom Trio bis zum Oktett neueste Literatur musiziert. 2020 wurde sie für ihr Album „Belle époque“ mit dem OPUS KLASSIK Preis in der Kategorie „Nachwuchskünstlerin“ ausgezeichnet.
Regelmäßig gastiert sie nun bei internationalen Festivals, ob in Luzern, Schleswig-Holstein, Bad Kissingen, Mecklenburg-Vorpommern oder auf dem Montpellier Festival. Überhaupt ist sie gerne unterwegs. Immer mit dabei die Yogamatte und ein Kopfkissen. Auf einem Foto sieht man Annelien Van Wauwe elegant und anmutig in der Yoga-Position Natarajasana, einer Standhaltung, wie man sie oft bei klassischen Tänzerinnen sieht. Eine Haltung, die für Harmonie, Stabilität und Selbstbewusstsein steht, für eine Frau im Gleichgewicht. Als Künstlerin sorgt sie natürlich nicht nur für ihren Geist und Körper, sondern auch für ihr Instrument. Während einer Meisterklasse in Los Angeles kaufte sie gleich zwölf Mundstücke. Das dürfte für ein sehr langes Klarinettenleben reichen.