Sie ist jung, sie steht am Pult und sie überrascht sich gerne selbst. Es sei aufregend und nervenaufreibend zugleich, mit namhaften Orchestern aufzutreten, gesteht Anna Rakitina. „Aber da muss man durch – und wenn man erfolgreich ist, lohnt es sich. Und wenn nicht, sammelt man eben Erfahrungen und macht weiter.“ Forsch und neugierig reiht die 1989 in Moskau geborene Dirigentin Erfolg an Erfolg. Sie war Preisträgerin der TCO International Conducting Competition 2015 in Taipeh und des Deutschen Dirigentenpreises 2017. Ein Jahr später gewann sie den Zweiten Preis beim Nikolai-Malko-Wettbewerb. Andris Nelsons holte sie daraufhin 2019 zum Boston Symphony Orchestra, wo sie neben dem Maestro als Assistant Conductor agierte.
Dabei schien ihre Karriere zunächst in eine ganz andere Richtung zu weisen. Als Kind nahm sie Violinunterricht, gab das Instrument jedoch mit zwölf Jahren auf. Stattdessen begann sie mit dem Gesangsstudium und träumte von einer Karriere auf der Bühne. Als Studentin am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium entdeckte sie mit 22 Jahren aber unvermittelt eine ganz andere Seite an sich. An ihre Spontaneität, ja fast Naivität, erinnert sie sich gerne: „Ich wurde neugierig darauf, wie Dirigenten ausgebildet werden, was sie mit ihren Armen machen und wie das alles funktioniert.“ Zu ihrer Überraschung empfahl ihr Professor Stanislav Diachenko, das Dirigierstudium fortzusetzen. Rakitina verbrachte daraufhin zwei Jahre an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Parallel setzte sie ihr musikwissenschaftliches Studium fort und promovierte schließlich mit einer Arbeit über den Zeitfluss in Rachmaninows Kammermusik und Romanzen. Mit diesem Background ausgestattet, als Gastdirigentin regelmäßig eingeladen, startet die junge Maestra nun international durch.
Anna Rakitina: Tiefes Verständnis für ihre Arbeit
So freut sich auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin auf den gemeinsamen Auftritt beim Choriner Musiksommer 2023, wo Rakitina das Festival eröffnet: „Es ist eine Freude, ihr beim Dirigieren zuzusehen“, heißt es in der Programmankündigung des Orchesters. Die Chemie scheint auf jeden Fall zu stimmen: „Eine ihrer großen Qualitäten ist die menschliche Seite; ihre Sensibilität und ihr tiefes psychologisches Verständnis für ihre Arbeit.“