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Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Tristan und Isolde

Wenn den Liebenden ein Licht aufgeht

(Genf, 15.9.2024) Michael Thalheimer bestätigt seinen Ruf als Regieexperte der Verdichtung mit seinem Markenzeichen der radikalen Reduktion: Da wirkt die Lichtinstallation seines Bühnenbildners Henrik Ahr weit stärker als die Personenregie. Marc Albrecht am Pult treibt Wagner das Schwelgen aus.

vonPeter Krause,

Nachdem er sein Orchester im mystischen Abgrund des Bayreuther Festspielhauses überdeckelt und damit unsichtbar gemacht und so für eine bis heute andernorts nicht erreichte Magie und Balance des Klangs gesorgt hatte, da wollte Richard Wagner gleich noch mehr: Nun sollte nun auch noch das „unsichtbare Theater“ her. Natürlich war und ist diese Vision des Nicht-Sehens dessen, was sich auf der Bühne ereignet, weder wirklich umzusetzen, noch wird sie absolut ernst gemeint gewesen sein. Ein Komponist freilich, der seiner männlichen Titelfigur im Angesicht des Sterbens den Satz in den heldentenoralen Mund legt: „Wie, hör‘ ich das Licht?“, hatte mindestens einige synästhetische Fantasie.

Wem das Sehen vergeht, der hört vermutlich besser, tiefer, verinnerlichter. Auch Michael Thalheimer wird die entsprechenden Sentenzen des Gesamtkunstwerkers kennen. Schließlich passen sie dem Regieexperten der Verdichtung mit seinem Markenzeichen der radikalen Reduktion gar sehr in den Sinn seines Inszenierens, in dem er so gern auf das Weglassen dessen setzt, was das Publikum ohnehin kapieren dürfte. Wenige prägnante theatralische Zeichen sollen bei ihm reichen.

Gesten ersetzen Requisiten

Also hat er mit seinem Bühnenbildner Henrik Ahr einen ziemlich komplett lehrgefegten Raum ersonnen, in dem es – in einem Opern-Fünfstünder und seinen extrem kräfteraubenden Gesangspartien ist das schon eine Ansage – so gar keine Gelegenheiten zum Sitzen oder Liegen gibt – es sei denn, man benutzt eben einfach den Bühnenboden. Auch all die dem Libretto gemäß eigentlich nötigen Requisiten sind in dieser Neuinszenierung des Grand Théâtre de Genève weggelassen: Dienerin Brangäne reicht ihrer Herrin Isolde weder Todes-, noch Liebestrank, das Schwert, mit dem Tristan in der Vorgeschichte Isoldes Verlobten Morold tötete, fehlt ebenso. Isolde fuchtelt stattdessen vielsagend mit dem Armen, um zu verdeutlichen, wovon sie denn gerade zu singen hat.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève

Nur genau zweimal macht Thalheimer eine Ausnahme: Wenn Isolde und Tristan am Ende des ersten Aufzugs jene bewusstseinserweiternde Droge zu sich nehmen, die alle Hemmungen der Sitte vergessen machen, dann muss eben doch ein schlichtes Wasserglas her, das Brangäne bedeutungsschwanger schreitend hereinträgt. Erst trinkt Tristan, dann Isolde, die das Gefäß in der fälschlichen Annahme, es habe den Todestrank enthalten, zersplittern lässt. Tristan greift sich fasziniert einen scharfen Splitter, um seinem Dasein – doppelt hält besser – ein Ende zu setzen.

Einen Akt später – das legendenumwobene Liebespaar lebt immer noch – versuchen es die beiden dann mit dem Suizid im Duett: „So stürben wir um ungetrennt, ewig einig ohne End.“ Sie beide ritzen sich am Arm die Adern auf. So einiges Bühnenblut spritzt. Doch es dauert einen weiteren Aufzug, bis die beiden dann qua Liebestod eine andere Ebene der Existenz in der Transzendenz erreichen. Denn auch das bei aller Lust des Weglassens dann doch mirakulös auftauchende Messer Melots, des Verräters, in das sich Tristan im Finale des zweiten Aktes stürzt, verwundet den Liebeskranken nur.

Die Sänger suchen den Regisseur

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève

Ansonsten herrscht Statik in der Personenregie: Tristan darf den ersten Akt über stocksteif sittenstreng am Portal stehen, sich im zweiten auch mal liegend seiner Isolde annähern, im dritten dann angesichts seines Siechtums wiederum meist liegend, knieend oder vom treuen Kurwenal gestützt seinen Fieberfantasien Ausdruck verleihen. Isolde ist als Irlands trotziges Königskind durchweg engagierter unterwegs, sie muss aber ja auch – siehe fehlende Requisiten – mit Gesten verdeutlichen, was ihr gerade als bedeutsam erscheint. Was Michael Thalheimer hier in der Personenregie geleistet hat, ist begrenzt – und wirkt einerseits wohltuend in der demütigen Zurücknahme jeglichen sich aufplusternden Regie-Egos, erzeugt andererseits in seiner Suche nach einem unsichtbaren Theater der Gegenwart aber auch viel Leerlauf.

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Schade zudem, dass er die Abstraktionskraft der Bühne kaum je nutzt, um – womöglich choreographische, stilisierte oder verfremdende – Bewegungsmuster zu entwickeln, die einen neuen Blick auf „Tristan und Isolde“ ermöglichen würden. Zu oft wirken die Sänger hilflos, zumal der Tristan von Gwyn Hughes Jones, der im ersten Aufzug mit schöner Geschmeidigkeit und im zweiten mit erstaunlich innigen Piani besticht, um freilich im dritten auch an heldentenorale Grenzen zu stoßen und zu selten an den tragischen Tristankern seiner Figur heranzukommen. Elisabet Strid als maximalmotivierte mädchenhafte Königin Isolde wägt mit ihrem lyrisch aufblühenden jugendlich dramatischen Sopran jede Wortnuance, jede Stimmfarbe, jede Seelenregung und macht letztere auch anrührend als Darstellerin sichtbar. Angesichts ihrer identifikationsgeladenen Risikobereitschaft bleibt ihr im Liebestod aber auch mal eine Phrase auf halber Strecke stecken.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève

Nachtgeweihte in Orange getaucht

Den prägenden Beitrag zur Inszenierung aber leisten an diesem Abend Henrik Ahr (Bühne) und Stefan Bolliger (Licht). Sie verantworten die gigantische Installation einer Wand aus 13 mal 20 Leuchten, die von den ersten Takten des Vorspiels an in unzähligen Mischungen, Intensitäten und Kontrasten Richard Wagners gigantische Vokalsymphonie kommentieren. Meist in Schattierungen von Orange. Das kann mal im schlichten Sinne illustrativ sein und die musikalische Dramaturgie doppeln, wenn Tristan und Isolde im wahrsten Wortsinne mit dem Genuss des Liebestranks ein Licht aufgeht – die 240 überdimensionalen OP-Lichter somit unvermittelt in gleißender Helligkeit aufgerissen werden. Erwartbar auch, wenn das Dunkel der Nachtgesänge der Liebenden unvermittelt durch Melots unsanftes Entdecken ihres Ehebruchs gleichsam aufklärerisch ausgeleuchtet wird.

Es gibt aber auch subtilere Akzentuierungen und Akzentverschiebungen, gleichsam Zwischentöne des Lichts, die sich Richard Wagners Partitur mit all ihren subtil ausgehörten Farbmischungen imaginativ anschmiegen und mitunter auch eine gewisse Unabhängigkeit der visuellen Schicht zur Musik offenbaren. Zumal im in der Personenregie sonst unterbelichteten zweiten Aufzug entsteht so ein anregendes Spannungsverhältnis zwischen musikalischer Partitur und der über sie gelegten Licht-Inszenierung. Das macht in einem Werk, dessen Text in so vielen hochromantischen Zeilen die Metaphorik von Nacht und Tag, Mond und Sonne, Traum und Wirklichkeit, Privatem und Politischem variiert, überaus Sinn, ja, es fesselt mitunter im Beziehungszauber von Musik und Licht.

Es geht ja doch: unsichtbares Theater in einzelnen Szenen

Dennoch trägt der Ansatz nicht über fünf Stunden, da ihm eben die Energie zwischen den Figuren zu oft abgeht, die der deutlicheren und mutigeren Hand des Regisseurs bedurft hätte. Im Gedächtnis bleiben somit einzelne Szenen: Brangänes „Habet Acht“-Rufe, die sie als wahrhaftig gelingendes unsichtbares Theater aus der Galerie des Zuschauerraums intoniert und die Kristina Stanek mit ihrem urmütterlich geerdeten tiefen Mezzo wie ein Fels in der Brandung der überschäumenden Emotionen singt. Oder der selten so erschütternde Auftritt König Markes, den Tareq Nazmi so gar nicht basspolternd, sondern mit edlen Kopfstimmenresonanzen als Klage eines tief verletzlichen und verletzten Mannes so unsentimental wie zu Herzen gehend gestaltet.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Grand Théatre de Genève

Das Orchestre de la Suisse Romande geht seinen Wagner genuin französisch, also flüssig, luzide, lukullisch, fein austariert an. Das Klangbild wirkt ungewöhnlich aufgehellt, kommt Kammermusik in Wagnerdingen gleich. Marc Albrecht treibt die Tempi allerdings auch derart sportlich an, dass die langen Linien des sehnsüchtigen Schwelgens nicht immer jenen Weltatem verströmen, von der Isolde im finalen Liebestod singt. Marc Albrecht scheint dem schnelleren gesprochenen Wortfluss folgen zu wollen, um tunlichst nichts zu überdehnen oder zu zelebrieren.

Grand Théâtre de Genève
Wagner: Tristan und Isolde

Marc Albrecht (Leitung), Michael Thalheimer (Regie), Henrik Ahr (Bühne), Michaela Barth (Kostüme), Stefan Bolliger (Licht), Luc Joosten (Dramaturgie), Mark Biggins (Chor), Gwyn Hughes Jones, Elisabet Strid, Tareq Nazmi, Kristina Stanek, Audun Iversen, Julien Henric, Emanuel Tomljenović, Vladimir Kazakov, Grand Théâtre de Genève Chorus, Orchestre de la Suisse Romande

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