Anno Schreier beginnt unser Gespräch über die Uraufführung von „Schade, dass sie eine Hure war“ mit den Worten: „Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie man heute überhaupt noch eine Oper schreiben kann. Man muss sich ja mit der Tatsache auseinandersetzen, dass fast ausschließlich Repertoire gespielt wird.“ In Düsseldorf tritt man dieser Tage den Beweis an, dass nicht immer nur Werke aus vergangenen Jahrhunderten aufgeführt werden müssen. Dafür hat die Deutsche Oper am Rhein einen Komponisten beauftragt, der als Person exemplarisch für die Möglichkeit steht, mit Neuer Musik die großen Häuser zu erobern. Der heute 39-jährige Anno Schreier hat bereits 2011 am Opernhaus Zürich „Die Stadt der Blinden“ auf die Bühne gebracht. Das Werk nach einem Roman von José Saramago erzählt vom zwischenmenschlichen Chaos in einem Lager, in dem durch eine Infektion erblindete Menschen zusammengepfercht wurden. 2016 folgte dann ein „Hamlet“ am Theater an der Wien.
Opernhaft zugespitzt: „Schade, dass sie eine Hure war“
Für Düsseldorf hat Anno Schreier nun eine Vorlage von John Ford, einem Zeitgenossen Shakespeares, aufgegriffen. „Schade, dass sie eine Hure war“ ist ein Intrigenstück über die inzestuöse Liebe zwischen den Geschwistern Giovanni und Annabella, das Kerstin Maria Pöhler zu einem Libretto umgearbeitet hat. Dabei hat Pöhler beim üppigen Personal kaum Streichungen vorgenommen, weshalb zwölf Solisten auf der Bühne stehen werden. Die Deutsche Oper am Rhein mit ihrem großen und starken Sängerensemble ist deshalb nicht nur Auftraggeber, sondern das ideale Haus für die Uraufführung.
Das Sujet hat Schreier selbst gewählt. Er erklärt: „Der Stoff hat mich gereizt, weil viele opernhafte Situationen darin vorkommen, alles sehr extrem und zugespitzt ist.“ Die daraus resultierende Mischung aus Komik und Tragik hat ihn fasziniert. Neben der Haupthandlung gibt es zahlreiche Nebengeschichten, ständig versuchen alle gegeneinander zu intrigieren, sich aneinander zu rächen. „Aber irgendwie klappt das alles nicht.“, schildert Schreier den Plot, der ein bisschen an die zeitgenössische Politik erinnert. „Man verliert leicht den Überblick und fragt sich, wer nun eigentlich was machen möchte.“ Letztlich mündet das Durcheinander in die Katastrophe.
Spiel mit dem Vertrauten
In seiner Partitur arbeitet Schreier mit stilistischen Anspielungen. Dazu erklärt er: „Das klingt meist nach Zitaten, es sind aber keine, weil sie immer gebrochen werden.“ Auf diese Weise inszeniert er eine musikalische Maskerade und spielt mit dem Vertrauten. Beispielsweise ist die Partie der Philotis als Koloratursopran angelegt. Ihr unbekümmertes Trällern, das dem Belcanto nahesteht, soll sie als naiv charakterisieren. Außerdem setzt Schreier auf Kontraste: „Indem ich beispielsweise sehr grausamen Stellen fröhliche Musik unterlege, hinterfrage ich die Hörgewohnheiten routinierter Operngänger.“ Letztlich lädt Schreier zu einer assoziativen Reise durch die Operngeschichte, die in der Summe ihrer Teile seine eigene Musikerpersönlichkeit beschreibt.
Auf der Bühne wird Schreiers Konzept durch Erfolgsregisseur David Hermann sichtbar gemacht. Der Komponist führt aus: „Ganz ähnlich wie ich in der Musik arbeitet auch er und bringt vier unterschiedliche Regiestile auf die Bühne, die im Verlauf der Handlung miteinander kollidieren. Manche Szenen zitieren eine konventionelle Bildsprache, deren Bedeutung gebrochen ist, andere wirken grotesk.” Sowohl Schreier als auch Hermann gestalten also eine Oper über die Oper.
Sehen Sie hier den Trailer zu Schreiers „Die Stadt der Blinden“: