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Opern-Kritik: Köln – Die spanische Stunde / Das Kind und der Zauberspuk

Statement für die Moderne

(Köln, 25.9.2016) Ungewöhnliche Spielzeiteröffnung mit Ravel, den François-Xavier Roth vor allem als progressiven Komponisten zeigt

vonAndreas Falentin,

Eine Spielzeiteröffnung mit den beiden wenig repräsentativen und vor allem auf deutschen Bühnen nach wie vor höchst selten anzutreffenden Ravel-Opern darf als ungewöhnlich bezeichnet werden. Natürlich trifft sich hier Intendantin Birgit Meyers bekanntes Engagement für die musikalische Moderne mit dem Interesse von GMD François-Xavier Roth, das französische Repertoire im Spielplan der Kölner Oper zu verankern.

François-Xavier Roth setzt die Zeit in Gang

Roth zeigt Ravel vor allem als progressiven Komponisten. Man mag in seiner Lesart luftigen, französischen Esprit und kurzweilige Eleganz vermissen, in keinem Moment aber musikalische Substanz. Die vielfältigen schrägen Soloeinsätze und Klangideen, die vom lustvoll musizierenden Gürzenich-Orchester kantig herausgeschälten Sekundreibungen könnten auch von einem heutigen Komponisten stammen. Schon der Auftritt des Dirigenten wirkt programmatisch: wie ein Schamane setzt Roth zu Beginn der Spanischen Stunde (L’Heure Espagnol) acht auf dem Rand des improvisierten Orchestergrabens stehende Metronome in Gang. Schließlich geht es hier um Uhren.

Die Frau des Uhrmachers plant ihr donnerstägliches Schäferstündchen, denn ihr Mann wartet immer an diesem Wochentag die städtische Uhr. Diesmal geht aber alles schief, immer wieder müssen sich Männer in Uhren verstecken und werden darin transportiert und am Ende gewinnt der als Kunde ins Geschäft gekommene Maultiertreiber die Gunst der Schönen an Stelle des weltfremden, aber hübsch anzusehenden Schöngeistes und des ach so selbstsicheren Bänkers. 

Ravels Wortwitz kommt leider etwas zu kurz

Beatrice Lachaussee erzählt diese Geschichte klar in deutlich stilisierten Bildern und einer ganz auf die Welt der Uhren setzenden Ausstattung von Nele Ellegiers. Die hell geschminkten Gesichter der Figuren und ihre übertriebenen, künstlichen und genau getimten Gesten deuten eine Art Boulevard-Expressionismus an. Die Figuren werden damit gut erfasst, die vielen komischen Momente in Text und Musik geraten aber aus dem Zentrum. Lachaussee stellt das geschmackvolle, gelegentlich auch poetische Bild über den Gag, nimmt sich Ravels Wortwitz nur in Ausnahmefällen wirklich an, vermeidet – leider! – sorgfältig jeden Anflug von Slapstick. So wird die an sich kurzweilige Stunde doch ein klein wenig lang, vermisst man Charme und Spielenergie, die auch mal überborden und nicht genau portioniert daherkommen. Das wäre mit dem von Katrin Wundsam als mannstoller Uhrmachersgemahlin und Julien Behr als tenorseligem Schwätzer-Charmeur auf höchstem Niveau angeführtem Ensemble mit Sicherheit möglich gewesen.

Surreales Nachtstück

Einen gänzlich anderen Zugang wählt die Regisseurin für Das Kind und der Zauberspuk (L’Enfant et les Sortileges). Hier nimmt sie die Gattungsbezeichnung „lyrische Phantasie“ beim Wort. Wir sehen ein – in seinen besten Momenten, etwa in der Schäferszene oder der Mathematikepisode mit dem mit viel Energie auftretenden Kinderchor – surreales Nachtstück als Reihe von teils idyllischen, teils alptraumhaften Visionen. Um die stringente Entwicklung des von Marie Lenormand formidabel gesungenen Kindes vom bösartigen, gewalttätigen Jungen zum fühlenden Menschen geht es hier kaum.

Hier korrespondieren die Bilder von Nele Ellegiers schlicht mit der Musik von Ravel, die Roth und sein Orchester sinnlich, spontan und nie vordergründig bildhaft artikulieren. Dazu bleiben drei Dialogszenen im Gedächtnis, die Auseinandersetzungen des Kindes mit der Mutter, dem Feuer und dem Eichhörnchen. Judith Thielsen, Dongmin Lee und Sara Jo Benoot, alle drei aktuelle oder gewesene Mitglieder des Kölner Opernstudios, begeistern mit Bühnenpräsenz, eigenständiger Phrasierung und wunderbar modulierten Stimmen. 

Oper Köln im Staatenhaus

Ravel: Die spanische Stunde / Das Kind und der Zauberspuk

François-Xavier Roth (Leitung), Béatrice Lachaussée (Regie), Nele Ellegiers (Bühne & Kostüme), Andrew Ollivant (Chor), Katrin Wundsam, Marie Lenormand, Julien Behr, John Heuzenroeder, Thomas Dolie, Tomislav Lavoie, Judith Thielsen, Maria Isabel Segarra, Dongmin Lee, Sara Jo Benoot, Maria Kublashvili, Chor der Oper Köln, Mädchen und Knaben des Kölner Domchors, Gürzenich-Orchester Köln

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