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Opern-Kritik: Oper Wuppertal – Hoffmanns Erzählungen

Starker Beginn

(Wuppertal, 18.9.2016) Vier Regisseure setzten die vier Akte von Offenbachs hybridem Meisterwerk in Szene

vonAndreas Falentin,

Schon nach dem ersten Premierenwochenende der Intendanz von Berthold Schneider am in den letzten Jahren arg gebeutelten Opernhaus kann man sagen: Es wird in Zukunft wieder spannend und anregend sein, ins Wuppertaler Opernhaus zu gehen. Und das, sollte der Standard zumindest mittelfristig gehalten werden können, bei erfreulichem musikalischem Niveau. 

 

Der renommierte britische Dirigent David Parry hat aus den unzähligen Ausgaben und Fassungen eine eigene kompiliert 

 

Nach der überwältigenden Aufführung von Steve Reichs und Beryl Korots Video-Oper Three Tales in intimem Rahmen des als Blackbox zugerichteten Bühnenraums am Samstag, gab es am Sonntag die „richtige“, große, repräsentative Eröffnungspremiere. Auch hier machte Schneider es sich nicht leicht, setzte ausgerechnet Offenbachs in jeder Hinsicht brillantes und schwieriges Meisterwerk auf die Agenda.

 

Der renommierte britische Dirigent David Parry hat aus den unzähligen Ausgaben und Fassungen eine eigene kompiliert, die vor allem im Olympia-Akt mit etlichen Kürzungen und Umstellungen aufwartet und beschwingt und wirkungssicher vorgetragen wurde. Wohl um die ungewöhnlich komplexe Dramaturgie einerseits offen zu legen, andererseits zu bewältigen, hat der Intendant das Stück zudem gleich vier verschiedenen, alle besonders von ihren Arbeiten an britischen Opernhäusern her bekannten Regisseuren anvertraut.

 

Vom Stummfilm in eine obskure Klinik der Gegenwart

 

So entstanden vier optisch eigenständige Akte. Den Prolog verortet Charles Edwards rationell und brillant vor dem eisernen Vorhang, für den Olympia-Akt beschwor Nigel Lowery mit schönem Augenzwinkern die Bildwelt expressionistischer Stummfilme à la Das Kabinett des Dr. Caligari herauf, der Antonia-Akt spielt bei Christopher Alden deutlich in viktorianischer Zeit, während Inga Levant die Kurtisane Giulietta zur in roten Lack gewandeten Stationsschwester einer sehr obskuren modernen Klinik macht. Viele Details sind anfechtbar, aber alle führen auf den sehr wirkungsmächtigen, fast oratorisch gebauten Schluss hin – und erfreuen durch lebendige Darstellung und ebensolches Musizieren. 

 

Der Bariton-Bösewicht ist eine Frau – zwischen Merkel und Thatcher

 

Zumal Wuppertal Sänger aufbietet, die in dieser mal poetischen, oft ziemlich trashigen Bildflut nicht untergehen, sondern die Skurrilitäten von Stück und Inszenierung heraus modellieren und zum Funkeln bringen. Hier ist in erster Linie die Bariton-Sängerin Lucia Lucas zu nennen. Richtig gelesen, der Stadtrat Lindorf ist eine Frau, gekleidet irgendwo zwischen Merkel und Thatcher, der starke Antagonist dieses Theaterabends über die Überlebenschancen von Kunst und Künstlern in einer ökonomisch dominierten Gesellschaft.

 

Lucas, die sich 2014 einer Geschlechtsumwandlung unterzog, hat einen mächtigen, sehr musikalisch, wenn auch nicht eben akademisch geführten Bariton, der Offenbachs vier Bösewichtern ein gewaltiges Ausdrucksspektrum gewährt. Genau wie Lucas überzeugt Mark Bowman-Hester in den Dienerrollen als singender Schauspieler, der auch mal bewusst neben den Ton greift, wenn es dem Ausdruck hilft. Das tut auch die Sängerin Kerstin Brix, die die Muse mit hohem Sprechanteil als trinkende Dramaturgin am Rande zum Klamauk aber durchaus stimmig vorführt. Wie sonst nie, bekommt die Figur des Niklausse hier eigenes Leben zugewiesen als Alter Ego sowohl Hoffmanns als auch der Muse, quasi als Kunst an sich, als die sie gleich noch die Rolle von Antonias Mutter mit abdeckt. Catriona Morison ist eine große Entdeckung, eine Sängerin mit großer Ausstrahlung und geradezu engelhaft geführtem Mezzosopran.

 

Sara Hershkowitz spielt alle vier Frauenrollen mit fast fanatischer Leidenschaft

 

In diesem Typenarsenal hat es der Protagonist nicht wirklich leicht, sich zu behaupten, aber Mickael Spadaccini gelingt das mit viel Bewegung auf allen Ebenen hervorragend, auch wenn es ihm im Giulietta-Akt hörbar schwerfällt, die Stimme zu kontrollieren. Eine weitere große Entdeckung ist Sara Hershkowitz. Sie spielt alle vier Frauenrollen mit großer, fast fanatischer Leidenschaft und ist somit das eigentliche Zentrum dieser Inszenierung,  auch wenn es für die Giulietta ein wenig an Fundament, für die Antonia ein wenig an lyrischer Substanz fehlt. Einsatz, Spielintelligenz und Musikalität machen vieles wett – ein Satz, der durchaus als Motto für diesen ungewöhnlichen und anregenden Opernabend taugt.   

Oper Wuppertal

Offenbach: Hoffmanns Erzählungen

David Parry (Leitung), Charles Edwards (Regie & Bühne), Nigel Lowery (Regie, Bühne & Kostüme), Christopher Alden (Regie), Inga Levant (Regie), Petra Korink (Bühne & Kostüme), Doey Lüthi (Kostüme), Markus Baisch (Chor), Sara Hershkowitz, Mickael Spadaccini, Lucia Lucas, Catriona Morison, Kerstin Brix, Mark Bowman-Hester, Sebastian Campione, Simon Stricker, Sangmin Jeon, Andreas Heichlinger, Chor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen, Sinfonieorchester Wuppertal

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