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Saisonausblick Oper 2018/2019

Wer wagt, gewinnt

Die deutschen Opernhäuser geben sich in der Spielzeit 2018/19 nicht allein mit Verkaufsschlagern zufrieden – zum Glück!

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Besitzen Opernintendanten eine Schwarmintelligenz, verfügen sie über kollektive Kreativität? Die Entscheidung, Spielzeit um Spielzeit immer wieder die Hausheiligen Mozart, Verdi und Wagner auf die Bühne zu bringen, ist hier garantiert nicht gemeint. Vielmehr der Trend, neue, aufregende Schwerpunkte zu bilden, die Renaissance eines Repertoires zu bewirken, das man hier und heute spielen muss, weil es uns etwas angeht.

Beim Durchforsten der Programmbroschüren für die Spielzeit 2018/2019 der deutschen Staats- und Stadttheater fallen – und das ist ganz positiv gemeint – drei Moden auf. Da werden von Lübeck bis München, von Gelsenkirchen bis Dresden die Meisterwerke des Expressionismus, der Operette und des Barock neu entdeckt und auf ihre Relevanz für die Gegenwart befragt. Das Erfreuliche dabei: Es sind nicht nur die längst bekannten Hits dieser wunderbaren, aber dennoch im Ganzen immer noch zu sehr am Rande stehenden Ausprägungen des Musiktheaters.

Werke mit Aha-Effekt

Premiere feiern also nicht nur Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ (an der Komischen Oper Berlin, den Wuppertaler Bühnen oder am Theater Bremen), Johann Strauss’ „Die Fledermaus“ (an der Deutschen Oper am Rhein) oder Georg Friedrich Händels „Xerxes“ (am Theater Magdeburg). Es sind vielmehr gerade jene Stücke, die uns wieder wirklich aufregende Aha-Effekte bescheren können, die uns gerade deshalb berühren, weil wir nicht jede Arie mitsingen und nicht jede harmonische Wendung vorhersagen können. Wir dürfen uns also freuen auf diese neue Spielzeit, weil Intendanten nicht nur auf Nummer sicher gehen und eben wie immer eine „Carmen“, „Aida“ und „Tosca“ aufs Programm hieven, sondern weil sie mutig sind und zum Beispiel Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ wagen – dieses schamlose Stück eines Erotomanen, der nicht nur Richard Wagner, Giacomo Puccini und Richard Strauss in höchst persönlicher Manier auf die Spitze treibt, sondern dazu Motive von Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud und Thomas Mann zu einem dionysisch entgrenzten wie entmoralisierten Musiktheater des Rausches abmischt.

Szenenbild aus "Die Gezeichneten"
Die Gezeichneten/Bayerische Staatsoper © Wilfried Hösl

Am 6. April feiert Schrekers Schocker an der Staatsoper Hannover Premiere. Seine nicht minder grandiose Künstleroper „Der ferne Klang“ ist ab 31. März an der Oper Frankfurt zu bestaunen. Zudem locken ab 24. März sowohl Alexander Zemlinksys „Der Zwerg“ in die Deutsche Oper Berlin als auch Korngolds „Das Wunder der Heliane“ ins Theater Lübeck. Nicht im engeren Sinne expressionistisch, aber gleichwohl aufgeladen mit dem Sprengstoff der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts ist auch Ernst Kreneks „Karl V.“, dessen sich die Bayerische Staatsoper ab 10. Februar annimmt. Wer stattdessen einem der Väter des musikalischen Expressionismus und damit einem seiner meistgespielten Werke huldigen will, der wird an der Oper Köln fündig, wo das einstige Skandalwerk „Salome“ von Richard Strauss am 14. Oktober herauskommt.

Wiederentdeckung 2.0

Natürlich ist angesichts des vor drei Jahrzehnten von England nach Deutschland geschwappten Barock-Hypes hierzulande kaum mehr von einer echten Renaissance zu sprechen, dafür aber doch von einer Wiederentdeckung 2.0: Händel oder Monteverdi an sich sorgen hier nicht mehr zur Profilbildung, aber umso mehr die französische Spielart des Barock, der sich zumal die Staatsoper unter den Linden Berlin ab 25. November mit Jean-Philippe Rameaus „Hippolyte et Aricie“ annimmt. Und das Nationaltheater Mannheim wagt es, Claudio Monteverdis kirchliches Meisterwerk, die „Marienvesper“, ab 15. Dezember szenisch zu deuten. Händels selten zu sehender „Orlando“ ist ab 4. Mai am Stadttheater Osnabrück zu genießen, Glucks die das Barockzeitalter behutsam ablösende Reformoper „Iphigénie en Tauride“ ab 28. April an der Staatsoper Stuttgart.

Seit von der Komischen Oper Berlin die beherzt freche Widerlegung des Schimpfworts von „Opas Operette“ ausgeht, ist die Wiederbelebung dieser komischen wie politisch erfrischend unkorrekten Spielart des Musiktheaters landauf, landab in vollem Gange. Fast schon unübersichtlich ist die Fülle an Neuinszenierungen, die längst nicht mehr allein den Regieassistenten und zweiten Kapellmeistern überlassen werden, sondern wie mit Intendant Barrie Kosky an der Komischen Oper oder Generalmusikdirektor Donald Runnicles an der Deutschen Oper Berlin zunehmend zur Chefsache wird. Paul Abraham wird demnächst nicht nur in der Berliner Urzelle der Operetten-Renaissance zur Aufführung gebracht, sondern mit „Ball im Savoy“ ab 1. September am Theater Lübeck oder ab 19. Januar gar am Staatstheater Nürnberg; Abrahams „Märchen im Grand Hotel“ zeigt ab 25. November das Staatstheater Mainz. Auch Jacques Offenbach erobert jenseits von „Hoffmanns Erzählungen“ die mittleren und großen Häuser. „La Grande Duchesse de Gérolstein“ soll ab 9. Juni an der Oper Köln für jecke Operettenfreuden sorgen, „Orpheus in der Unterwelt“ ab 17. Februar am Theater Erfurt beweisen, dass die Verarbeitung des Mythos vom magisch singenden Menschen kein Vorrecht der Barockoper ist.

Auseinandersetzung mit der Gegenwart in der Spielzeit 2018/2019

Damals wie heute entstand und entsteht Musiktheater immer im Kontext seiner Gegenwart, war darüber hinaus oft politisch und äußerte mehr oder weniger offen Zeitkritik. Wenn seit Monteverdi bisher jede Zeit ihre Themen und ihre Musiksprache für die Oper gefunden hat, dann kann es sich nur lohnen, Augen und Ohren da- für zu öffnen, was die kommende Saison an Neuer Musik bereithält. So thematisieren etwa Beat Furrer und Jörg Widmann an der Staatsoper Unter den Linden in zwei Uraufführungen, wie Sprache in besonderen Kontexten versagen kann. „Violetter Schnee“ handelt vom Verstummen angesichts der Apokalypse, und in einer neuen Fassung von „Babylon“, eine Oper, die bereits 2012 in München über die Bühne ging, wird Sprachverwirrung in multikulturellen Gesellschaften behandelt.

Szenenbild aus "Benjamin"
Benjamin/Staatsoper Hamburg © Bernd Uhlig

Ja, modernes Musiktheater ist nicht leicht zu stemmen, aber glücklicherweise kein hauptstädtisches Privileg. So feiert Hannover im März 2019 die deutschsprachige Erstaufführung von Elena Kats-Chernins komischer Oper „Iphis“, in der die Unfähigkeit mancher Eltern, ihre Kinder so anzunehmen, wie sie sind, auf die Schippe genommen wird. Das Theater Heidelberg wird sogar die monumental besetzte Oper „BENJAMIN“ von Peter Ruzicka geben, die im Juni 2018 an der Staatsoper Hamburg uraufgeführt wurde. In diesem Stück über den deutschen Philosophen und Kulturwissenschaftler Walter Benjamin wird mittels wiederkehrender Klangstrukturen das tragische Spannungsfeld zwischen Individuum und fundamentaler Weltanschauung ausgelotet. Doch natürlich geht es auch kleiner: Für seine Kammeroper „Satyricon“ hat Bruno Maderna im Fundus des Musiktheaters gestöbert und spielt in seinem Stück über eine dekadente Abendgesellschaft des antiken Roms kreativ mit Werkzitaten. Dieser 42 Jahre jungen Partitur nimmt sich schon im Oktober die Semperoper an.

Sex sells!

Die Frage, ob Theodor Fontane die literarischen Vorlagen für einen deutschen Verismo hätte liefern können, ist vermutlich müßig. Doch gerade weil die Musikgeschichte diese Option hat verstreichen lassen, können Komponist Detlev Glanert und Librettist Hans-Ulrich Treichel anlässlich des 200. Geburtstages des preußischen Dichterfürsten die zeitgenössische Auseinandersetzung mit seinem Œuvre suchen: Sie haben das Novellenfragment „Oceane von Parceval“ über den Melusine-Stoff zur Vorlage genommen und für die Deutsche Oper Berlin ein Werk über die Unfähigkeit zur Liebe geschaffen. Damit behandeln sie ein sehr aktuelles Thema, leben doch immer mehr Menschen als Single.

Auf eines ist indessen Verlass: Sex sells! Entsprechend liegt der 2011 uraufgeführten Oper „Anna Nicole“ von Mark-Anthony Turnage eine Handlung mit Erfolgsgarantie zu Grunde: Sie erzählt vom Leben Anna Nicole Smiths, die den ärmlichen Verhältnissen der Provinz entfloh, Stripperin wurde und später den 63 Jahre älteren Ölmilliardär J. Howard Marshall heiratete. Zu hören ist das Werk ab November am Staatstheater Nürnberg.

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