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Opern-Kritik: Macerata Opera Festival – IL TROVATORE

Rotlicht an der Klagemauer

(Macerata, 6. August 2016) Verdis handlungskruder Troubadour begeistert als grandiose Installation aus Form und Farbe

vonPeter Krause,

Es ist ein gigantisches Bild. Die riesige langgestreckte Mauer der Arena Sferisterio ist in tiefes rot getaucht. Entlang dieser nackten Wand steht der Chor des Macerata Opera Festival gleichsam Mann an Mann – mit dem Rücken zu uns. Assoziationen zur Klagemauer von Jerusalem kommen auf. Luois Désiré benötigt gar kein Riesenbudget, um in einer der stimmungsstärksten und dazu akustisch perfekten Arenen Italiens so beklemmende wie berührende Bilder herzustellen. Der Ausstatter dieses gefeierten Trovatore nimmt einfach, was er hier gratis bekommt und nutzt es. Die Inszenierung von Francisco Negrin im fantastischen Licht von Bruno Poet gewinnt in ihrer Verbindung von Architektur und Darstellern auf diese Weise immer wieder etwas dezidiert Skulpturales. Die Breitwandbühne wird zum eigenen Kunstwerk, zur Installation aus Form und Farbe, in der sich das mehrfach tödliche, in Rückblenden erzählte, wahrlich schräge und selten logische Drama um die beiden Söhne des alten Conte di Luna und das Schicksal der alten Zigeunerin und ihrer Tochter Azucena abspielt.

Weniger ist hier sehr viel mehr

Es entsteht eine zeitlose Archaik, in der die Vorgeschichte um späte Rache, böse Träume und familiäre Verstrickungen im Lichte der Gegenwart einer unmöglichen Liebe stets präsent bleibt. War es nun des Grafen Sohn oder doch ihr eigenes Kind, das die mit urmütterlichem Alt orgelnde Azucena einst in ein Feuer geworfen hat? Zwei wiederum ewig lange Tischreihen reichen, damit sich das Geschehen entfalten kann. Selten gilt die Erkenntnis so klar und deutlich wie hier: Weniger ist mehr.

Die Luxusbesetzung ohne große Namen kann es mit den bedeutendsten Rollenvertretern der Vergangenheit aufnehmen

In diesem maximal intensiven Ambiente sind Sänger zu hören, die man in Deutschland zwar noch wenig kennt, die indes selbst den besten Opernhäusern der Welt zur Ehre gereichen würden. Selbst die kleine Partie des Ferrando ist mit dem wunderbar textklaren, fürwahr idiomatisch gestaltenden Basso cantante des Alessandro Spina geradezu luxuriös besetzt. Die Leonora der Anna Pirozzi begeistert mit edler Pianokultur und perfekter Atemkontrolle, im Forte hat ihre Höhe eine sehr wohl angenehme dramatische Schärfe. Ihr Troubadour Manrico ist mit Piero Pretti vergleichsweise leicht besetzt, sein heller Tenor dürfte sonst bei einem Duca di Mantova gut aufgehoben sein, dank der exzellenten Projektion seiner schlanken Stimme gibt er der Titelfigur gleichwohl klares jugendfrisches Profil. Mit toller, bei Verdi stets extrem geforderter Baritonhöhe ist Marco Caria als Luna eine sichere Bank, sein Timbre ist im Vergleich zu großen Rollenvorgängern eher rustikal. Das sängerische Naturereignis dieses großartigen Abends aber ist die Azucena der Enkelejda Shkosa. Die Albanerin singt in allen Lagen mit düster flammendem Mezzoton, einer schlichtweg umwerfenden Tiefe und einer fantastischen Artikulationsprägnanz. Wenn sie so weitermacht, ist Enkelejda Shkosa alsbald in die erste Reihe mit den bedeutendsten Vertreterinnen der Vergangenheit zu stellen.

Wenn Verdis Hm-Ta-Ta zu großer Musik wird

Am Pult des Orchestra Regionale delle Marche steht an diesem Abend Francesco Ivan Ciampa, der die Farbwerte der melodienprallen Partitur mit Liebe zum Detail zum Klingen bringt und aus dem gern abschätzig betrachteten Verdi des populären Hm-Ta-Ta durch feines Phrasierungsempfinden große Musik macht. Last not least: Die Pianissimi des Chores machen sprachlos. Besser geht’s nicht. Nächsten Sommer steht neben Puccinis Turandot und Madama Butterfly Verdis Aida auf dem Spielplan.

Macerata Opera Festival

Verdi: Il Trovatore

Mitwirkende: Francesco Ivan Ciampa (Leitung), Francisco Negrin (Regie), Louis Désiré (Ausstattung), Bruno Poet (Licht), Piero Pretti, Anna Pirozzi, Marco Caria, Enkelejda Shkosa, Alessandro Spina, Fondazione Orchestra Regionale delle Marche, Coro Lirico Marchigiano “V. Bellini”

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