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Opernfestivals

Musik unterm Sternenzelt

Die zehn schönsten Opernfestivals Europas locken in diesem Sommer nach England, Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich

vonPeter Krause,

Es gießt so heftig, als würden alle Operngötter weinen. Ein Gewitter wie aus dem Bilderbuch geht über Macerata nieder. In nur einer halben Stunde soll es mit dem „Otello” losgehen in der akustikfeinen wie stimmungsstarken Arena Sferisterio des mittelitalienischen Universitätsstädtchens – wiederum mit einem Sturm, allerdings einem, den der Herr Verdi gar wirkungsmächtig in Noten gesetzt hat und nach dessen Ende die schwarz geschminkte Titelfigur dann ihr heldentenoral siegesfreudiges „Esultate“ schmettert.

Wir blicken derweil zweifelnd aus unserem nahen Hotelzimmer auf die Rückwand der Arena. Fällt der erste Opernabend dieses Festivalsommers gleich ins Wasser? Komplette Vorstellungsausfälle kenne man hier kaum, versichern uns lokale Experten nur Minuten später, als der Himmel sich so abrupt geschlossen hat wie ein riesiger roter Opernvorhang. Die Platzanweiser verteilen flugs saugkräftiges Haushaltspapier. Wer trocken sitzen möchte, wischt seinen Klappsitz kurzerhand selbst ab.

Im Land der Opernerfinder

Mit kaum fünfminütiger Verspätung hebt Riccardo Frizza dann den Taktstock und dirigiert eine Traumvorstellung. Das in Deutschland immer noch als Geheimtipp gehandelte Traditionsfestival in den vom Massentourismus so angenehm verschonten Marken zeigt, wie man das schwere Verdi-Fach heute bestens besetzt. Im „Trovatore” am Abend darauf wird die langgestreckte Mauer der Arena Sferisterio in tiefes Blutrot getaucht. Architektur und Darsteller verschmelzen zu einem skulpturalen Ganzen. Die Breitwandbühne wird zum eigenen Kunstwerk, zur Installation aus Form und Farbe. Und Italien, das Land der Opernerfinder wie auch der oft nur mehr musealen Opernrestauration, wirkt hier wie selbstverständlich angekommen in der Gegenwart des europäischen Musiktheaters.

In diesem Jahr setzt Francesco Micheli nun die Arena-Oper schlechthin in Szene: die „Aida”. Augenzwinkernd will er darin mit dem pseudo-authentischen Ausstattungsprunk von einst spielen, setzt dazu auf ein Theater der Chiffren als klug modernes Verweisen. Zudem wird Maria Josè Siri, Maceratas letztjährige Norma, eine ihre Paradepartien wiederholen: die Butterfly, mit der die aus Uruguay stammende Sopranistin mit italienischen Wurzeln zuletzt zur Saisoneröffnung der Mailänder Scala glänzte.

Tribüne bei den Bregenzer Festspielen
Tribüne bei den Bregenzer Festspielen © Bregenzer Festspiele

Österreichs sonnigstes Opernfestival: Die Bregenzer Festspiele

Wird der Glaube an einen gütigen Opernwettergott in Falle der Intendanten italienischer Sommerfestspiele meist gnädig belohnt, brauchen die Macher der Open-Air-Oper im Norden vor allem eines: gute Nerven. Das milde Mikroklima am Bodensee bildet hier freilich eine Ausnahme. Durchschnittlich nur 1,4 Vorstellungen müssen in Bregenz pro Jahr ins angeschlossene Festspielhaus verlegt werden.

Heuer setzt mit Kasper Holten der Noch-Intendant des Royal Opera House in London Bizets Welthit „Carmen” auf der Seebühne neu in Szene. Ein überdimensionales Kartenspiel wird gleich einer skulpturalen Installation zum schicksalssteuernden Signet seiner Regiearbeit. Doch die schon jetzt enorm nachgefragte Neuproduktion am See ist nur die Cashcow in einem ansonsten dramaturgisch ambitionierten Programm, mit dem Elisabeth Sobotka dem Musiktheater in wirklich all seinen Facetten nachspürt. Qualität und Quote schließen sich hier mitnichten aus.

Italianità in Heidenheim, Musical-Manie in Schwerin

Gar nicht weit entfernt mausern sich parallel im deutschen Südwesten die Opernfestspiele Heidenheim zum überregional ausstrahlenden Ereignis. Marcus Bosch kehrt im Sommer gern in seine Heimatstadt zurück, wo der Nürnberger GMD auch als Intendant die Fäden spinnt und mit „Der fliegende Holländer” in der Ruine der mittelalterlichen Stauferburg von Schloss Hellenstein die Freilufttauglichkeit Richard Wagners unter Beweis stellt. Sein kongenialer Nürnberger Ring-Schmied Georg Schmiedleitner führt Regie. Bariton Antonio Yang singt die Titelpartie auf diesem Grünen Hügel der schwäbischen Alp mit seiner ganz eigenen musikalischen Magie unterm Sternenzelt. Schlechtwettermomente können Marcus Bosch dabei nicht schrecken. Das fußläufig erreichbare Congress Center bietet akustisch exquisiten Ersatz. Dort flankiert Bosch die Freiluftoper jedes Jahr mit einem Frühwerk aus Verdis Feder, stets begleitet von seinem Originalklangensemble Cappella Aquileia. Diesmal inszeniert mit Barbora Horáková Joly die rechte Hand von Calixto Bieito Verdis Opera Buffa „Un giorno di regno”.

Über den doppelten Boden einer Ersatzspielstätte für Regentage verfügen die Schlossfestspiele in Schwerin nicht, dafür ist die nach der Wiedervereinigung herausgeputzte Residenzstadt immer eine Reise wert, das historistisch erweiterte Renaissance-Schloss eine grandiose Kulisse und die diesjährige „West Side Story” ein Wetterwidrigkeiten trotzender Kassenmagnet. Wer dafür ins schnucklige südfranzösische Aix-en-Provence reist, kann zwischen dem vom Mistralwind umwehten Opernzauber einer Sommernacht und Vorstellungen in den geschlossenen Theatern wählen. „Don Giovanni” und „The Rake’s Progress” sind draußen, Bizets „Carmen”, Cavallis „Erismena” sowie die Uraufführung von Boesmans „Pinocchio” sind drinnen zu sehen.

Wo Exzellenz Tradition hat: Bayreuth, Salzburg und Glyndebourne

Festspielhaus Bayreuth
Festspielhaus Bayreuth © El Grafo/Wikimedia Commons

Können die Open Air-Festspiele mit dem atmosphärischen Fluidum besonderer Orte abseits der Musikmetropolen sowie Spielstätten punkten, die Kultur und Natur auf einzigartige Weise versöhnen, muss auf das vom Alltag herausgehobene Element bei den Festivals in klassischen Theaterräumen keineswegs verzichtet werden. Oft folgen gerade sie einer spezifischen Idee oder können sich auf einen Komponisten berufen, der gerade hier zu Hause war. Diesen Typus führen zweifellos die Bayreuther Festspiele an. Zwar sorgte die mittlerweile alleinherrschende Katharina Wagner in den vergangenen Jahren eher durch spektakuläre Absagen und Rauswürfe für Schlagzeilen denn durch spektakuläre Inszenierungen. Doch just in diesem Sommer erzeugt eine wirklich aufregende Künstlerkonstellation absolute Hochspannung: Barrie Kosky führt Regie, Philippe Jordan dirigiert, Michael Volle singt den Hans Sachs in der Eröffnungspremiere „Die Meistersinger von Nürnberg”.

Noch mehr Opernfestivals

Während die Festspiele in Erl sich zum österreichischen Klein-Bayreuth ohne provozierende Regie-Experimente gemausert haben, bleiben die Salzburger Festspiele weiter der Marktführer im mit den allergrößten Sängernamen gespickten Hochpreis-Segment der Festivals. Die konzeptionelle Ausrichtung des Programms ist mit dem Intendanten-Antritt von Markus Hinterhäuser endlich wieder von absoluter künstlerischer Stringenz geprägt, der Sponsoren und Stimm-Freaks gefallende Star-Stadl nur mehr die andere Seite der Medaille. Höhepunkt verspricht die Premiere des Schostakowitsch-Schockers „Lady Macbeth von Mzensk” zu werden, den mit Mariss Jansons der größte Maestro der Gegenwart dirigiert und dessen Titelpartie mit Nina Stemme die größte Hochdramatische unserer Zeit singt, Andreas Kriegenburg inszeniert.

Salzburger Festspiele, Hofstallgasse
Salzburger Festspiele, Hofstallgasse © Salzburger Festspiele

In seinem perfekten Ausgleich zwischen musikalischer und szenischer Exzellenz kann nur das südenglische Glyndebourne den Salzburger Festspielen ernsthaft Konkurrenz machen. Unter neuer Leitung des deutschen Opernmanagers Sebastian Schwarz begeistert die Programmpalette vom Barock über den Hausheiligen Mozart bis zur Uraufführung. Die Palme für das beste Festival, das einem einzigen Komponisten huldigt, geht indes ans Adria-Städtchen Pesaro, wo man nicht nur das beste Eiscafé Italiens entdecken kann, sondern auch all die herrlichen ernsten Opern Rossinis in wahren musikalisch-szenischen Referenzproduktionen, die hierzulande immer noch viel zu selten auf den Spielplänen stehen.

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