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Opern-Tipps im März 2024

Vergessen, nicht verfemt

Schatzsuche im März: Zwei ganz besondere Opernjuwelen werden in Frankfurt a. M. und Zürich aus der Versenkung gehoben.

vonPeter Krause,

Verfemt und verboten, nach dem Ende des ideologischen Wahns vergessen und erst allzu spät wiederentdeckt – so erging es Mendelssohn und Mahler, Korngold und Schreker und so vielen anderen Komponisten, die zuvor gefeiert worden waren wie Wagner oder Strauss. Doch es gibt auch andere Geschichten des Vergessens und erneuten Findens, hinter denen nicht unbedingt politisches Unrecht steckt, sondern nur die Ungerechtigkeit der Geschichtsschreibung mit ihren Moden und Geschmacksverschiebungen.

Wolfgang Fortner gehört zu diesen Unzeitgemäßen, die womöglich einfach nicht rechtzeitig an der eigenen Markenbildung feilten, um zu Klassikern der Moderne zu mutieren. Der 1907 in Leipzig geborene Komponist und Kompositionslehrer – mit einer prominenten Schülerriege von Hans Werner Henze über Wolfgang Rihm bis zu Hans Zender und Bernd Alois Zimmermann – verschrieb sich einerseits der Zwölftontechnik Arnold Schönbergs, schwelgte andererseits in verführerischen Klangfarben.

Poetisch schillernde Melange aus Farce, surrealen Szenen und tragischem Seelendrama

Der Titel seiner nun neu entdeckten „Vier Bilder eines erotischen Bilderbogens in der Art eines Kammerspiels“ erweckt zunächst den Anschein verstohlen schlüpfriger Nachkriegs-Spießigkeit: „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“. Der Blick auf das Uraufführungsjahr 1962 im Schlosstheater Schwetzingen scheint dies zu bestätigen.

Doch das seit der neapolitanischen Commedia dell’arte unzählige Male variierte Motiv „Alter Mann liebt junge Frau“ nimmt hier durchweg überraschende Wendungen. Die späte Ehe des zurückgezogen lebenden Bücherwurms und Junggesellen mit der nymphomanen Nachbarstochter ist Ausgangspunkt für eine poetisch schillernde Melange aus Farce, surrealen Szenen und tragischem Seelendrama, stets auf der Spur der grotesken Vorlage des spanischen Dichters Federico García Lorca.

Dabei bleibt in der vielsagenden Schwebe, wie viele sinnliche Verwicklungen es hier zu entwirren gibt. Fortner wählt ­Vibrafon, Celesta und Harfe, Gitarre und Cembalo für sein eigenwilliges spanisches Kolorit. Uneindeutig bleibt die Biografie des 1987 verstorbenen Komponisten, der von den Nazis zunächst als „Kulturbolschewist“ attackiert, dann zum seine Karriere rettenden Mitläufer wurde, der sich auch mal um die musikalische „Wehrmachtsbetreuung“ verdient machte.

Albtraumhafte Lebensreise

Politisch vollkommen unverdächtig ist hingegen sein Zeitgenosse Roman Haubenstock-Ramati. 1919 in Krakau geboren, verlor der jüdischstämmige Musiker seine Eltern im Holocaust. Die willkürliche Verhaftung durch die Sowjets rettete ihm 1941 das Leben. In Flucht- und Exilstationen zwischen Krakau, Tel Aviv und Wien wirkte er als Professor, Musikredakteur beim Rundfunk und Lektor für Neue Musik bei der Universal Edition in Wien, wo er 1994 starb.

Sein reichhaltiges Schaffen von der Kammermusik bis zu Orchester- und Bühnenwerken gipfelt in der Oper „Amerika“ nach Franz Kafkas zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenem Romanfragment. Es erzählt von der albtraumhaften Lebensreise des Karl Rossmann in das Amerika der großen Glücksversprechen, das sich alsbald als ein Land absurder Zwänge und Unmöglichkeiten erweist. Karl gerät in eine Mechanik aus Hoffnung, Abhängigkeit, Ausnutzung und Verstoßung. Er ist „Der Verschollene“, so Kafkas ursprünglicher Titel.

Ein Markstein des Opernkomponierens im 20. Jahrhundert

Nahezu ein Verschollener schien auch der Komponist Roman Haubenstock-Ramati zu sein. „Amerika“ darf als sein Hauptwerk gelten, 1969 in Berlin uraufgeführt, genießt es den Legendenstatus des Geheimtipps. Als kühner Musiktheaterentwurf gehört es zu den Marksteinen des Opernkomponierens im 20. Jahrhundert, verbindet die kompositorische Präzision eines Anton Webern mit einer großen Freiheit der Formen. Klang, Bild, Aktion und Licht fügen sich zu einem die Sinne fordernden Hör-, Seh- und Denkabenteuer, das die nichtnarrativen und multimedialen Theaterformen der Gegenwart vorwegzunehmen scheint.

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