Mit dieser Premiere wird „Holländer hoch 3“ an den drei Opernhäusern Sachsen-Anhalts in Magdeburg, Dessau und Halle rund. Die Theater machten den Zufall der Premieren-Dreieinigkeit von Wagners „Der fliegende Holländer“ zum Konzept, veranstalteten Rahmenprogramme in Berlin und gewähren Sonderkonditionen bei Besuch aller drei Produktionen. In Magdeburg lohnt vor allem der mit außergewöhnlich musikalischer Brillanz finalisierte „Holländer“-Reigen. Diese Sturm-und-Drang-Oper ist überdies bestens geeignet zum Vergleich der Potenziale von Orchestern und Chören sowie von Anspruch und Leistungswillen der künstlerischen Leitungen.
Die Magdeburger „Holländer“-Premiere zeigt dabei das am meisten leuchtende und deshalb auch am meisten umjubelte Oberflächencharisma. Die szenische Palme gebührt wohl dem durchdachten und interaktiven Gegenwartsblick von Florian Lutz in Halle. Der recht „werkgetreue“ „Holländer“ in Dessau wartet dagegen mit einer nur schwerlich zu überbietenden Inbrunst des Singens auf.
Die Magdeburger Stars: Philharmonie, Chor und Singakademie
Vor allem ermöglicht die mit Spannung erwartete Inszenierung von Vera Nemirova ein musikalisch gleißendes, allenfalls zu schönes musikalisches Leuchtfeuer in der bereits von Halle und Dessau gewählten Urfassung mit ihrer harten Gangart. Nach peripheren Anfangsunebenheiten der Magdeburgischen Philharmonie nutzt GMD Kimbo Ishii optimal die strahlende Akustik seines Opernhauses, das dadurch einen Vorteil vor Halle und Dessau hat. Kimbo Ishii nimmt ein Wohlfühlbad in der Partitur: Er wärmt die rauen Nordstürme zum Monsun, in den extremen Momenten zum Vibrieren machenden Fön. Im szenischen Einheitsraum hat die Daland-Mannschaft mit ihren Frauen, die zusammen machtvolle Töne ins Auditorium schleudern, den ganz großen Auftritt zur Konfrontation mit der Besatzung des Geisterschiffs: Diese schmettert in gleich vier Gruppen der Singakademie Magdeburg gewaltig los, fast vierzig Mann im Parkett und auf dem Rang. Sie reißt die Hörer in Taumel und gar zum aufzündenden Szenenapplaus nach dem Verebben der bösen Erscheinung. Ganz große, intensive Minuten sind das auch dank Chorleiter Martin Wagner, weniger vorteilhaft sind sie für Jonathan Winells Steuermann, dem diese Chöre – ungerecht für ihn – die Schau stehlen.
Smartphone, Fernliebe und Video
Für Vera Nemirova und ihre Co-Regie führende Mutter Sonja Nemirova hat Tom Musch einen wenig atmosphärischen Einheitsraum gebaut, der das Unterdeck von Dalands Schiff sein könnte, aber nur durch Videos mit Gischt und mannshohen Wellen als solches behauptet wird. Dort unterbrechen die Näherinnen und Lucia Cervonis belcanteske Mary gern die monotone Arbeit an Spitzen und Wolle, lassen sich durch Sentas Visionen vom Wanderer der Weltmeere in Bann schlagen. Dort feiern die Seemänner ihren Landurlaub in der Sauna rau und herzlich. Sonst merkt man kaum eine visuelle Verdichtung der im Programmheft propagierten Kontraste weiblicher contra männlicher Tongesten.
Der Riss durch die Figurenbündnisse entsteht anders: Vera Nemirova macht den wirtschaftlich zielstrebigen Daland und den reisemüden Holländer zu Brüdern in Haltung und Geist. Es ist konsequent, dass Johannes Stermanns ganz junger Daland und Vladimir Baykov, nur vokal ein Holländer mit Dämonie, austauschbar sind. Das unterstreicht beider musikalische Mühelosigkeit ebenso wie der großartige und von Senta trotzdem verschmähte Jäger Erik. Nicht der Holländer, sondern Erik ist hier das ebenbürtige Kraftpaket zu Sentas Gier nach Leben mit Leidenschaft. So sind tatsächlich beider Szenen die affektiven Gipfelpunkte des Abends: Liine Carlsson verströmt Dauerwärme mit schönen Höhen, Timothy Richards setzt meisterhaft an zum Sprung ins schwerere Heldenfach. Fast geht im Schlussgetümmel unter, wer den tödlichen Schuss auf den Holländer abfeuert. Es ist Erik, der den Supermann aus Sentas Wunschdenken erledigt, nachdem er sie, die ihm entglittene Braut, fast vergewaltigt hat.
Das wahre Leben im Falschen
Senta bekommt die Finger nicht vom Touchscreen ihres Smartphones. Vera Nemirova lässt geschehen, dass die Videosequenzen des Holländers als Outlaw auf verschneiten Landstraßen in der Peripherie Magdeburgs wichtiger werden als das direkte szenische Geschehen. Der Holländer-Monolog ist eine Online-Vision Sentas, kurz vor Schluss beschwört sie ihre „Treue bis zum Tod“ im hysterisch aufgedrehten Screen-Broadcast. Doch zur ersten Begegnung im wirklichen Leben – Duett und Herzstück des Werkes – zerfällt beider Faszination füreinander schon zu Asche. Wie Liine Carlsson und Vladimir Baykov in dem öden Ambiente die von Wagner geforderte innere Glut ersingen, kann man nur bewundern.
Matte Videos und starker Wagner
Bahadir Hemdemirs Videos werden zum ebenso wichtigen Akzent wie das echte szenische Geschehen. Letzteres erzählt kaum mehr als die Musik, liefert wenig Persönlichkeitsverdichtung. Mit dieser epischen Medienfunktionalisierung kommt der Magdeburger „Holländer“ dann doch nicht an das Hallenser Spektakel heran, in dem jeder Video-Track und Mouseclick parallel zu Wagners Reibungshitze die schöne neue Onlinewelt demontieren. In Magdeburg glühen und glänzen dafür vor allem die Musik und die sagenhaften Chorattacken zwischen Bühne und Saal. Für diese Energie und Video-Dominanz bereitet die Regie einen goldenen Boden.
Theater Magdeburg
Wagner: Der fliegende Holländer
Kimbo Ishii (Leitung), Vera Nemirova (Regie), Tom Musch (Bühne und Kostüme), Bahadir Hamdemir (Video), Martin Wagner (Chöre), Liine Carlsson (Senta), Vladimir Baykov (Holländer), Timothy Richards (Erik), Johannes Stermann (Daland), Lucia Cervoni (Mary), Jonathan Winell (Steuermann), Opernchor des Theaters Magdeburg, Magdeburger Singakademie, Mädchenchor des Opernkinderchores des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“, Magdeburgische Philharmonie