Für die Salzburger Festspiele musste ein neues Werk nach dem Zweiten Weltkrieg die notwendige Wende und Rehabilitierung aus den Verstrickungen im Nationalsozialismus bringen: Das gelang mit der Oper „Dantons Tod“, die der damals unbekannte Gottfried von Einem (1918-1996) schon im untergehenden „Dritten Reich“ begonnen hatte und die im August 1947 zum Sensationserfolg wurde. Das Machtduell zwischen Robespierre und Danton kürzte Boris Blacher für das Textbuch aus den 29 Szenen der Erstausgabe von Georg Büchners Drama auf sechs Bilder in zwei Akten.
Der Uraufführungstriumph katapultierte Gottfried von Einem in die erste Reihe der für die Nachkriegszeit wichtigen deutschsprachigen Komponisten. Aufträge von ersten Häusern wie Wien und Hamburg folgten, und von Einem wurde mit „Kabale und Liebe“ nach Schiller oder „Der Zerrissene“ nach Nestroy zu einem der wichtigsten Repräsentanten von Literaturopern mit nur geringfügig veränderten Texten aus den Quellen. Das mit seiner zweiten Lebensgefährtin Lotte Ingrisch geschaffene esoterische Spätwerk scheint für heute von geringerer Relevanz als seine früheren Opern wie „Der Besuch der alten Dame“ oder „Dantons Tod“.
Karen Stones Ideenkick aus ihrer Münchner Vergangenheit
Der Ursprung von Intendantin Karen Stones Idee zu einer Produktion von „Dantons Tod“ an der Oper Magdeburg liegt nahe. Während ihrer Zeit als Spielleiterin an der Bayerischen Staatsoper München stand dort die damals hochgerühmte historisierende Inszenierung von Johannes Schaaf auf dem Spielplan. Von dieser unterscheidet sich die Magdeburger Lesart allerdings deutlich. Karen Stone reflektiert in ihrer geradlinigen Realisierung auch die sich mit historischen Entwicklungen wandelnde Beurteilung der Französischen Revolution.
Vor allem ist ihr eine differenzierende und weitgehend objektive Darstellung der politischen Gegner Georges Danton und Maximilien de Robespierre wichtig. Damit agiert sie im Sinn Gottfried von Einems, der sich bereits vor der Uraufführung einer dualistischen Schwarz-Weiß-Kontrastierung dieser Rivalität widersetzte.
Der Disput, der Dantons alsbaldige Hinrichtung besiegelt, ist der Höhepunkt des ersten Aktes, das Tribunal gegen Danton sowie dessen Gefährten Camille Desmoulins und Marie-Jean Hérault de Séchelles jener des zweiten.
Der Chor als Protagonist
Aber vor allem öffnet Karen Stone die Bühnenflächen für den von Martin Wagner ausgezeichnet vorbereiteten und brillant agierenden Opernchor: Die Orientierungslosigkeit der Massen und den Blutrausch in einer auswuchernden Zone des Terrors, zu dem Paris im Frühjahr 1794 wurde, formt der Choreograf David Williams als abgehacktes Körpergemisch und strukturiertes Chaos. Es ist ein Haufen fast schon entmenschlichter Automaten, die blutgierig den Tod ihrer früheren Favoriten fordern. Die relative Kürze der einzelnen Szenen ermöglicht in „Dantons Tod“ eine starke Spannungsdichte.
Sturzbäche von Blut
In der Hinrichtungsszene ersetzen Sturzbäche von Blut über die Schriftzüge „Egalité! Fraternité! Liberté!“ das Fallbeil, wie es im Münchner „Andrea Chénier“ oder in Poulencs „Gespräche der Karmeliterinnen“ am Abend davor in Nordhausen auf die Bühne kam. Doch insgesamt bleiben Karen Stones kultivierte Bilder merklich kühl. Nicht eindeutig wird, ob sie sich zu sehr auf die Bildgewalt der Ausstattung verlässt. Oder ob diese Zurückhaltung sogar eine Positionierung bedeutet, um die Manipulierbarkeit der Massen auch anhand steriler Interieurs und ausgebremsten Emotionen zu zeigen, die zu allerhand Spekulationen des Pöbels Anlässe bieten.
Starkes Ensemble
Das expressive Potenzial des für die Moderne mit umfangreicher Expertenerfahrung gerüsteten Baritons Peter Bording reizt das Publikum nach seiner Verteidigungsrede mit Recht zum spontanen Applaus. Ihn hat Gottfried von Einem von allen Solisten am großzügigsten bedacht: Der Part Dantons steht in der langen Tradition gebrochen heroischer Baritonfiguren, die eine Risikobereitschaft bis zur Selbstzerstörung aufbringen – von Partien wie Hindemiths Cardillac oder des Kommandanten in Richard Strauss‘ „Friedenstag“. Peter Bording zeigt Danton erst als gleichgültigen, dann in der Auseinandersetzung mit Robespierre lässigen Charakter, der erst in den letzten öffentlichen Auftritten wieder zum großen Format findet. Ein unbestreitbarer Vorzug von Karen Stones Inszenierung ist, dass sie keinen Heldenkult ansteuert.
Musikalisch bereitet diese Opernmoderne aus dem Jahr 1947 heute kaum noch Anstrengungen des Hörens. Als Kontrast zu den Schrecknissen hat Gottfried von Einem kleinere Szenen des glücklichen Paares Camille Desmoulins und Lucille gesetzt. Diese Gefühle sind fast scheu versteckt unter einem farbenreichen Orchestersatz, in dem der von Schiller beschworene „verhängnisvolle Kreislauf der Geschichte“ ebenso wühlt und rumort wie Büchners der Partitur vorangestellte berühmte Frage nach dem, „was in uns lügt, stiehlt, mordet“. Amar Muchala ist in diesem düsteren Umfeld ein Fremdkörper, hebt sich mit apart rauchigem Tenor von den anderen sehr textakzentuierenden Stimmen ab. Noa Danon hat als am Ende halb wahnsinnige Lucille mit dem liedartigen Solo vom grimmen Schnitter Tod und ihrem selbstmörderischen Ruf „Es lebe der König“ eine Szene, die als ein Höhepunkt im Musiktheater des mittleren 20. Jahrhunderts gelten muss.
Von diesen wenigen lyrischen Inseln stechen kontrastintensiv Dantons vitale Rhetorik und die leise-suggestive Eloquenz Robespierres heraus, für den man Stephen Chaundy, einen bei Mozart, Zeitgenossen und Operette gleichermaßen erfahrenen Allrounder, nach Magdeburg holt. Dieser nimmt Autorität nur aus der Haltung und der Diktion, das volle stimmliche Kraftfeld entfaltet er bereits im Piano beeindruckend. Robespierres Schatten Louis Antoine de Saint-Just stattet Johannes Stermann dafür mit gefährlich schillernden Charakterfarben aus.
Ethische Fragen an von Einems „Dantons Tod“
Wie vorbildlich ist dieser Kraftakt des Theaters Magdeburg? Die vom Nationalsozialismus in die Nachkriegszeit reichende Entstehung von „Dantons Tod“ widersetzt sich noch immer einer ethischen Wertung des in der Oper stark verknappten Sujets, das durchaus bipolare Interpretationen zulässt. Die von Gottfried von Einem in den Vordergrund gestellte „Politik als Leidenschaft“ bleibt ambivalent. Auf alle Fälle aber ist „Dantons Tod“ ein echtes Operndrama über Massen, die ihre eigene Manipulierbarkeit ignorieren.
GMD Kimbo Ishii und die Magdeburgische Philharmonie reaktivieren das ganze dieser Partitur innewohnende Begeisterungspotential. Das klingt vom ersten bis zum letzten Takt so geschliffen, perfekt ausbalanciert und vielleicht sogar eine Spur zu schön, zu rund und zu ausgewogen. In Magdeburg merkt man nichts von der Beobachtung zur Uraufführung, dass die Gesangspartien und deren Ausdrucksspektrum ohne Bezug zu gänzlich anderen gleichzeitigen Akzenten des Instrumentalsatzes stehen. Insgesamt sind üppige Bilder mit Gegenwartsbezug garantiert. Doch mit diesem grandiosen Solistenensemble wäre weitaus mehr Emotion möglich und vielleicht sogar nötig gegen die auf der Bühne vorherrschende distanzierende Glätte.
Theater Magdeburg
von Einem: Dantons Tod
Kimbo Ishii (Leitung), Karen Stone (Regie), Ulrich Schulz (Bühne & Kostüme), David Williams (Choreografie), Martin Wagner (Chor), Peter Bording (Georges Danton), Amar Muchala (Camille Desmoulins), Marie-Jean Hérault de Séchelles (Robert Bartneck), Stephen Chaundy (Maximilien de Robespierre), Johannes Stermann (Louis Antoine de Sain-Just), Roland Fenes (Martial de Hermans), Simon (Paul Sketris), Noa Danon (Lucille), Florentina Soare/ Jenny Stark (Julie). Opernchor des Theaters Magdeburg, Magdeburgische Philharmonie