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OPERN-KRITIK: TEATRO DANTE ALIGHIERI DI RAVENNA – GIULIO CESARE in Egitto

Caesar zwischen Eros und Ethik

(Ravenna, 17.1.2025) Vor 300 Jahren wurde Händels Meisterwerk in London uraufgeführt. Chiara Muti inszeniert den Showdown zweier ungleicher Herrscherfiguren nun sinnlich und sinnig zwischen Antike, Barock und einer geistvollen Spur Shakespeare.

vonPeter Krause,

Erstmal gibt er seine Visitenkarte ab: „Cesare venne e vide e vinse.“ Mit der Sentenz „Er kam, sah und siegte“ singt der Namensgeber aller späteren Kaiser von sich selbst und durchaus selbstbewusst in der dritten Person zu Beginn von Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare“. Im Teatro Dante Alighieri von Ravenna feierte das Meisterwerk jetzt Premiere. Der berühmteste Satz des römischen Diktators darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Cesare von Nicola Francesco Hayms Libretto und Händels Musik mit der historischen Herrscherfigur zwar den Namen gemein hat, ansonsten aber mit dem „wahren“ Caesar wenig gemein hat.

Zwar lässt sich der Opern-Cesare in einem veritablen Heldentableau zunächst als neuer Herkules feiern, lobt sich selbstsüchtig als „vincitor“, differenziert das Bild des erfolgreichen Feldherrn freilich alsbald, wenn er sich als großmütiger Sieger gibt: Auf Bitten von dessen Frau Cornelia ist er bereit, seinem Feind Pompeo zu vergeben, den er bis nach Ägypten verfolgt hatte, wo der Römer Zuflucht gefunden hatte. Die Milde aber, die später für Kaiser Titus sprichwörtlich und von Mozart opernveredelt wurde, kommt zu spät. Denn der ägyptische König Tolomeo hat den Gast töten und seinen Kopf abschlagen lassen, präsentiert das Haupt nun Neuankömmling Cesare als Geste des Willkommens, da er annimmt, der legendäre Krieger wäre ihm dadurch nun zu Dank verpflichtet. Der edle Cesare jedoch verabscheut eine derart barbarische Tat. Tolomeo wird mitnichten sein Freund, sondern sein erbitterter Gegenspieler.

Szenenbild aus „Giulio Cesare“
Szenenbild aus „Giulio Cesare“

Packendes Duell zweier Countertenöre

Anders als viele ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen am Regiepult nimmt Chiara Muti diese deutliche Umwertung des Herrschers zur positiven Figur ernst, verunstaltet Händels Cesare also gerade nicht zum durchgeknallten Lüstling, der nebenbei noch ein Weltreich errichtet. Denn just jene Rolle des Bösewichts spielt in der Oper ja eindeutig sein Kontrahent Tolomeo, den die Regisseurin als zappelnden, chronisch testosterongesteuerten Narzissten, gleichsam als einen Trump der Antike, durch die Bühnenhandlung stolzieren lässt. Die Besetzung der beiden Countertenöre beglaubigt die Gegenüberstellung der beiden grundverschiedenen Charaktere ideal: Raffaele Pe tritt mit seinem Cesare in die riesigen Fußstapfen des legendären ersten Sängers der Rolle, des Kastraten-Superstars Senesino. Warm, geschmeidig, ja anschmiegsam singt Pe diesen so genuin charmanten Kaiser von Rom, verkörpert die Titelpartie somit vorbildlich als typischen „eroe amante“: Heroische Haltung und Liebesempfinden, Ethik und Eros, verschmelzen in der differenzierten Figur. Filippo Mineccia hingegen singt seinen Tolomeo auftrumpfend exaltiert, präpotent und viril, findet die tollen Töne der sexuellen Lust und des gefährlichen Wahns eines veritablen Bad guys der Oper.

Szenenbild aus „Giulio Cesare“
Szenenbild aus „Giulio Cesare“

Cesares Grandezza und Gerechtigkeitssinn, Cleopatras Kunst der Verstellung und Verführung

Es macht große Freude, wie Chiara Muti am Wohnort ihrer berühmten Eltern Cristina und Riccardo Muti die prägenden Affekte der Figuren präzise herausarbeitet: Nicht nur die Grandezza und den Gerechtigkeitssinn der Titelfigur und die unberechenbare Bosheit des Tolomeo, sondern zumal auch Cleopatras Kunst der Verstellung und Verführung, die Marie Lys mit der herrlichen Variabilität ihres Soprans und der Vielfalt ihrer Perücken mustergültig verkörpert. Silbrige Piani und dramatisches Zupacken verbindet sie ganz locker mit Händels multiplen Anforderungen an atemberaubende Virtuosität. Eine freie Frau beherrscht die Männerwelt und wickelt selbst den stolzen Römer um den Finger. Da tut es direkt gut, dass Delphine Galou als konstant treu trauernde Witwe des ermordeten Pompeo ihren schlanken Alt etwas spröder führt.

Dafür hält Federico Fiorio als ihr Sohn Sesto als jugendlicher Rächer seines Vaters derart unschuldig helle, hohe, frische und agile Töne bereit, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt, wie in der Premiere in Ravenna auch der dritte Countertenor vollends begeistert. Drei derart profilierte und noch nicht im Starzirkus der Opernszene angekommene Sänger des seltenen Fachs zu finden, die mit jeweils ganz eigener vokaler Farbgebung ihren Figuren Stimmgestalt verleihen, ist schon ein kleines Wunder. Perfekte Ergänzung in den kleineren Rollen mit jeweils deutlich weniger Arien: der potent imposante Bass Davide Giangregorio als wilder Achilla, sowie Countertenor Andrea Gavagnin als Nireno und Bariton Clemente Antonio Daliotti als Curio, die beiden ergebenen Gefährten. 

Szenenbild aus „Giulio Cesare“
Szenenbild aus „Giulio Cesare“

Fülle des barocken Wohllauts: Maestro Ottavio Dantone und die Accademia Bizantina    

Fraglos hat Ottavio Dantone großen Anteil an der Zusammenstellung dieses exquisiten Ensembles, das der Maestro der in Ravenna ansässigen Accademia Bizantina vom Clavicembalo aus zu Höchstleistungen und maximal vitalem Spiel und Gesang der Historischen Aufführungspraxis animiert. Ideal sind Orchester- und Vokalstimmen verzahnt, unendlich farbenreich sind die Nuancen ausgehört, sodass Händels nie endender Einfallsreichtum in einer Fülle des Wohllauts zu vernehmen und zu genießen ist. Bei allem erweist sich Chiara Muti als auf die Musik sensibel hörende Regisseurin, deren szenischer Einfallsreichtum nicht aufgesetzt, sondern aus den musikalischen Affekten abgeleitet wirkt.

Kurz gesagt: Muti setzt auf Poesie statt Politik. Alessandro Camera hat ihr in seinem Bühnenbild ermöglicht, ihre Inszenierung gleichsam auf den Trümmern der Antike aufzubauen. Wie einst Harry Kupfer in seiner Wiener Inszenierung der „Elektra“ sind überdimensionale Köpfe mythischer Figuren zu entdecken. In wandelbaren auseinandergeschnittenen Schichten können sie mal zerteilt, mal komplett ineinandergeschoben werden. Es lässt sich darauf klettern und in vielschichtigen Tableaus ein Beziehungsgeflecht aus den Hauptfiguren und einem höchst aktiven Bewegungschor herstellen, der mitunter Bilder von schlachtenden Helden wie von inspirierenden Musen nachstellt, wie sie auf antiken Vasen zu finden sind.

Szenenbild aus „Giulio Cesare“
Szenenbild aus „Giulio Cesare“

Trefflicher Mix der dramaturgischen Zeiten

In diesem ansprechenden Ambiente kombiniert Chiara Muti die dramaturgischen Zeiten klug und treffend: die Antike der offiziellen Handlungsschicht, der Barock der Entstehungszeit, Shakespeare als wichtige literarische Quelle einer alternativen Lesart des Julius Caesar und unsere Gegenwart der theatralischen Umsetzung fast auf den Tag genau 300 Jahre nachdem Händel am Londoner Haymarket-Theater seinen „Giulio Cesare“ im Februar 1724 uraufführen konnte.

In der Poesie von Chiara Mutis Erzählen kommt die politische Botschaft durch die Hintertür ins Spiel.

Wunderbar witziges Beispiel für Mutis lächelnden Feinsinn ist ihre Referenz auf William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, wenn der verliebte Caesar in der Arie der Cleopatra „V’adoro pupille“ mit übergestülptem Eselskopf als Wiedergänger des Zettel seiner Titania-Cleopatra zu Füßen liegt. Ja, Chiara Muti evoziert einigen Shakespeare-Geist, wenn sie ihre Inszenierung zwischen Tragik und Komik auspendelt und durch die Poesie ihres Erzählens dann durchaus auch politisch wird, aber eben so ganz ohne Zeigefinger. Erinnert der langegezogene Tisch, an dem Tolomeo seinen Widersacher Cesare vergiften lassen will, nicht verdächtig an die nicht endend wollende Tafel, an der der aktuelle russische Diktator seine seltenen Staatsgäste empfängt? Ihre Inszenierungs-Intelligenz ist aber auch in der Beachtung des historischen Kontextes der Oper zu sehen: Denn der deutsche Meisterkomoponist in London huldigte mit „Giulio Cesare“ und seiner dezidiert sympathischen Titelfigur schließlich auch jenem englischen König, der den Komponisten wenig später offiziell zum Engländer machen sollte. Da meint man durchaus zu erkennen, dass Cesare, alias George I., ein frühaufklärerischer westlicher Herrscher sein könnte, Tolomeo ein brutaler Vertreter eines absolutistischen Gewaltsystems in einem archaischen Orient.  

Die Inszenierung aus Ravenna wandert weiter. An den koproduzierenden Häusern Norditaliens wird sie in identischer Besetzung weiter zu bestaunen sein, so in Modena, Piacenza, Reggio Emilio und Lucca.

Teatro Dante Alighieri di Ravenna
Händel: Giulio Cesare

Ottavio Dantone (Leitung), Chiara Muti (Regie), Alessandro Camera (Bühne), Tommaso Lagattolla (Kostüme), Vincent Longuemare (Licht), Raffaele Pe, Marie Lys, Davide Giangregorio, Delphine Galou, Filippo Mineccia, Federico Fiorio, Andrea Gavagnin, Clemente Antonio Daliotti, Accademia Bizantina

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