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Opern-Kritik: Teatro alla Scala – La forza del destino

Alle Jahre wieder

(Mailand, 7.12.2024) Die Scala eröffnete ihre Saison mit Verdis „La forza del destino“ – mit Richard Chailly am Pult, mit Anna Netrebko und ohne Jonas Kaufmann.

vonJoachim Lange,

Um Verdi auf den Spielplan zu setzten, braucht man keine Begründung. Schon gar nicht an der Scala in Mailand. Die Musik wirkt auf direktem Wege. Im Falle von „La forza del destino“ ist es genau das Schicksalsmotiv, das sich schnell festsetzt und das man auch dann noch im Ohr hat, wenn der Spuk auf der Bühne zu Ende ist.

Das eher selten gespielte Werk selbst ist eine echte Räuberpistole: Der adlige Vater hat was gegen die Partnerwahl seiner Tochter Leonora. Dass ihr Auserwählter ein exotischer Prinz ist, weiß er nicht. Bei einer Rangelei löst sich ein Schuss und tötet den Vater. Wie in den einschlägigen europäischen Opernlibretti früherer Jahrhunderte – und in manchen Parallelgesellschaften heute – üblich, geht’s ab da nur noch um Rache-Mord. Von dem lässt sich Leonoras Bruder Don Carlo nicht mal dadurch abbringen, dass ihm das Objekt seines Hasses das Leben rettet. Am Ende bleibt er zwar auf der Strecke, reißt aber seine Schwester noch mit in den Tod. Das Verhängnis, jene Macht des Schicksals, ist einfach stärker.

Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala
Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala

Die emotionale Wucht der Musik

Diese krude Story nach dem Libretto von Francesco Maria Piave ist so eine, bei der man am liebsten dazwischen gehen und die Beteiligten zum Reden und Einsehen zwingen würde. Geht aber nicht. Das zelebrierte Verhängnis soll ja die Köpfe und Herzen bewegen. Und das geschieht gerade in dieser düsteren Oper über die emotionale Wucht der Musik. Wobei Verdi das Ganze mit einigen kriegerischen Chornummern aufgemöbelt hat, aus denen sich auch szenisch etwas machen lassen könnte.

Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala
Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala

Musikalische Referenzqualität statt szenischer Experimente

Die Mailänder Scala ist keines der wirklich großen Opernhäuser, von dem man szenische Experimente erwartet. Musikalische Referenzqualität aber schon. Besonders, wenn wie zur aktuellen Inaugurazione, am Tag des Stadtheiligen Ambrosius am 7. Dezember, „La forza del destino“ in der Scala-Fassung von 1869 auf dem Programm steht. Natürlich mit dem verdiaffinen und -erfahrenen Riccardo Chailly am Pult des Orchesters des Teatro alla Scala. Der faszinierte mit Präzision und zügigem Tempo, bot sowohl geschmeidigen Wohlklang, stellte aber gleichwohl gerade die martialischen Chorpassagen pointiert heraus und brachte mit sicherem Gefühl für die Akustik des Hauses keinen der fabelhaften Protagonisten in Bedrängnis.

Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala
Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala

Die Netrebko mit einem durchweg packenden Rollenporträt

Besonders im Fokus natürlich Anna Netrebko. Sie nutzte die Gelegenheit, ihren Weltklasserang unter Beweis zu stellen und wurde mit viel Szenenapplaus bedacht. Vom wirkungsvoll eingesetzten, samtig nachgedunkelten Timbre bis zu imponierend eingesetzten Spitzentönen liefert sie ein durchweg packendes Rollenporträt. Immer auch ein Stück sie selbst, aber ohne den Star herauszukehren und stets mit ihren notorischen Qualitäten als Teamspielerin. Als Donna Leonora ist sie die Frau zwischen zwei Männern. Der eine ist ihr auf Rache- und Ehrenmord fixierter Bruder Don Carlo di Vargas. Aus dem macht Ludovic Tézier eine auch im kraftvollen Auftrumpfen wohlklingende Mannsbildstatue. Der andere ist ihr deutlich beweglicherer Liebhaber Don Alvaro. Dass Jonas Kaufmann diese Rolle zurückgegeben hat, dürfte nach dem, was Brian Jagde als der von der sprichwörtlichen Macht des Schicksals nun wirklich arg getroffene Alvaro an hinreißendem, nie forciertem, aufblühendem Tenorschmelz lieferte, nur die eingefleischtesten Kaufmann-Fans betrüben.

Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala
Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala

Eine Besetzung auf haus- und ereignisentsprechendem Niveau

Auch sonst bot die Besetzung ein haus- und ereignisentsprechendes Niveau. Angefangen bei Fabrizio Beggi als Marchese di Calatrava. Der Vater Leonoras ist das tödlich getroffene Opfer eines sich unbeabsichtigt lösenden Schusses aus Alvaros Waffe. Vasilisa Berzhanskaya ist eine eloquente mezzohelle Preziosilla. Der sonore Alexander Vinogradov ein überzeugender Padre Guardiano.

Das Orchester und der Gesang boten auch in den Chorpassagen Grund zur Freude. Das tröstete über ein streckenweise unbeholfen wirkendes und allein auf Tableaueffekte ausgerichtetes szenisches Arrangement der Chormassen hinweg. Immerhin bot dessen Kostümierung in den Uniformen und Waffen verschiedener Jahrhunderte einen Ansatz mit Deutungsehrgeiz. Nach dem Motto: Krieg ist zu allen Zeiten immer verheerend für die Menschen. Ansonsten beschränken sich Leo Muscato (Regie), Federica Parolini (Bühne) und Silvia Aymonino (Kostüme) auf eine illustrative Drehbühne, die vom Interieur des Zimmers von Leonora über einen romantisch anheimelnden Hain vor der Klosterpforte und die Schützengräben des ersten Weltkrieges (inklusive einer fragwürdigen Schlachtenchoreografie von Michela Lucenti) und einer veritablen Ruinenlandschaft, die in den Zerstörungsbildern der Gegenwart ankommt, alles was man sich an Bühnenopulenz a la Italien so vorstellt und was vom Premierenpublikum erwartet und durchgewunken wurde. Die vereinsamten Buhs für Anna Netrebko hatten mit ihrer Leistung nicht das Geringste zu tun.

Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala
Szenenbild aus Verdis „La forza del destino“ an der Mailänder Scala

Sänger-Stargäste auch im Publikum

Die traditionelle Saisoneröffnung des Scala, heuer die letzte unter dem Intendanten Dominique Meyer, wird in Mailand immer auch zu einem großen Spektakel inklusive diverser Proteste und der Politprominenz des Landes im Haus. In der Beziehung stahl diesmal Paris mit der Wiedereröffnung der Notre Dame, die Präsident Macron sozusagen weltpolitisch inszenierte, die Show. Auch der italienische Staatspräsident zog Paris Mailand vor. Hier dämpften mieses Wetter und weiträumige Absperrungen den obligatorischen Protesteifer. Dafür hatten drinnen Gäste wie Placido Domingo und José Carreras umso mehr Wünsche nach Selfies und Statements zu erfüllen. Am Ende gab es zwölf Minuten verdienten Schlussapplaus.

Teatro alla Scala
Verdi: La forza del destino

Riccardo Chailly (Leitung), Leo Muscato (Regie), Federica Parolini (Bühne), Silvia Aymonino (Kostüme), Alessandro Verazzi (Licht), michela lucenti (Choreografie), Fabrizio Beggi, Anna Netrebko, Ludovic Tézier, Brian Jagde, Vasilisa Berzhanskaya, Alexander Vinogradov, Marco Filippo Romano, Marcela Rahal, Huanhong Li, Carlo Bosi, Xhieldo Hyseni, Orchestra della Scala

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