Wieder mal musste es ein klangvoller Name aus der benachbarten Kunstszene für die Oper sein. Diesmal war es Ólafur Elíasson (51). Die Staatsoper Unter den Linden engagierte den dänisch-isländischen Groß-Künstler, dessen Ausstellungen und Installationen selbst immer kleine oder besser große Inszenierungen sind, für die Position „Bühne und Kostüme“ bei der Neuproduktion „Hippolyte et Aricie“ und damit erstaunlicherweise der ersten Oper von Jean-Philippe Rameau überhaupt an diesem Haus.
Stars der Kunstszene bebildern Opern – und scheitern
Sir Simon Rattle und das Freiburger Barockorchester sind die illustren Gäste für die gerade neu installierten Barocktage der Lindenoper. Der musikalische Hausherr Daniel Barenboim und seine Staatskapelle Berlin sind gerade auf Tournee in Peking und Sydney. In Berlin wird währenddessen nicht nur eine ganze Phalanx von renommierten Namen aus dem Ensemble aufgeboten, die auch die vielen kleineren Rollen dieses Werks luxuriös bedenkt. Zugleich sollte offenbar erneut ein bekannter Protagonist der Kunstszene das Unternehmen zusätzlich adeln. Obwohl die letzten prominenten Versuche in Berlin, München oder Bayreuth durchweg künstlerisch scheiterten und nicht zum Gesamtkunstwerk gerieten, ist in solchen Fällen – und zwar bei Kritik und Publikum gleichermaßen – ein besonderer Aufmerksamkeitsbonus nach wie vor allemal drin.
Heraus kam eine Großinstallation. Mit Verspiegelung und Verdunklung der Bühne, mit neobarockem Glitzergewand aus Spiegelscherben für Phèdre, einer Goldverpackung für Aricie, mit hautenger Schlichtheit für die Männer und das zehnköpfige Ballett, mit einer XXL-Discokugel, eindrucksvollem Lasergitter auf der Bühne und in den Saal hinein, der obendrein auch noch vom Rang aus ein paar mal eingenebelt wurde.
Hippolyte et Aricie: Originelle Choreografie
Die britische Regisseurin und Choreografin Aletta Collins hatte gegen die Übermacht des Licht- und Spiegel-Magiers nur bei ihren Choreografien für die reichlichen Balletteinlagen die Chance auf eigene Akzente – und nutzte sie. Für eine zumindest originelle Choreografie, bei der die Körper von der Musik erfasst wurden, so wie Wasserpflanzen von einem fließenden Gewässer. Freilich auch nicht mehr, denn an die Betörung der Sinne durch barocke Opulenz reicht das nicht heran und blieb trotz seinen eigenen Reizes, in Bezug auf die Geschichte eher autonom.
Obwohl die aufgebotenen Protagonisten ihrem Ruf vokal auch gerecht wurden, waren die Balletteinlagen, vor allem aber die rein instrumentalen Intermezzi an diesem Abend das eigentliche, auch sinnlich berührende Ereignis. Die gesungenen Passagen, das bedeutungsschwangere Schreiten des von Martin Wright einstudierten Chors, bei dem die priesterlichen, von Spiegeln (was sonst) gekrönten Kopfbedeckungen die Hingucker lieferten, waren von der Großinstallation Elíassons eher gelähmt als beflügelt.
Magdalena Kožená und Reinoud Van Mechelen bieten den dramatischen Höhepunkt des Abends
Dabei bräuchte gerade dieses sehr französische Opus einen hilfreichen Übersetzer, wenn nicht gleich in die Gegenwart (wie man es vermutlich an der Komischen Oper machen würde), so doch zumindest in eine echte theatralische Aktion. Die blitzt nur in der ersten Szene nach der Pause dieses langen, über dreistündigen Abends auf, wenn in der einzigen echten dramatischen Szene Phèdre und Hippolyte zusammentreffen. Sie ist in den Sohn ihres totgeglaubten Gatten Thésée (markant präsent: Gyula Orendt) verliebt und begehrt ihn. Er bietet ihr die Treue und den männlichen Schutz des Sohnes an und gesteht ihr seine Liebe zu Aricie (Anna Prohaska). Dass diese Szene zwischen Magdalena Kožená (Phèdre) und Reinoud Van Mechelen (Hippolyte) auch der dramatischer Höhepunkt des Abends ist, liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich aus dem zelebrierten Schreiten des Restes (bei dem das Wirken der Götter von Diana über Jupiter bis Pluto und Neptun ausführlich durchdekliniert wird) deutlich heraushebt.
Inspiriert von Berliner Techno-Clubs der neunziger Jahre?
Kann ja gut sein, dass Ólafur Elíasson die Inspiration für seine Rameau-Installation in Berliner Techno-Clubs der neunziger Jahre bezogen hat. Das Ergebnis hat für sich genommen auch durchaus seinen Reiz. Aber: vor allem die Handschrift des prominenten Ausstatters auf Anhieb wieder zu erkennen, wenn der damit eine Opernbühne und einen Zuschauerraum „übermalt“, das ist für eine Operninszenierung nicht mal die halbe Miete. Das ist bei Elíasson nicht anders als bei Markus Lüperts, Georg Baselitz oder Neo Rauch. Dass der Künstler sich beim Schlussapplaus auch den vernehmlichen Unmutsäußerungen nicht stellte, habe daran gelegen, dass er mitten im Parkett saß und nicht wusste, dass man ihn auf der Bühne erwartet habe, so informierte die Pressestelle der Oper im Nachhinein. Dieses Fremdeln mit dem Genre ist freilich nach dieser Inszenierung durchaus glaubwürdig.
Insgesamt gelingt es weder der Regisseurin mit ihren choreografischen Anstrengungen, noch ihrem prominenten Ausstatter, die Schwächen von Rameaus Oper auszugleichen. Rattle und den Freiburger Barockspezialisten gelingt das immerhin, wenn sie bei sich, also nur dem Orchesterpart sind. Wenn sie bewusst den Schulterschluss mit der Bühne suchen, dann dominiert auch im Graben das eher lähmende Tempo der Bühne.
Staatsoper Berlin
Rameau: Hippolyte et Aricie
Sir Simon Rattle (Leitung), Aletta Collins (Regie & Choreografie), Ólafur Elíasson (Bühne, Licht & Kostüme), Anna Prohaska, Magdalena Kožená, Adriane Queiroz, Elsa Dreisig, Sarah Aristidou, Slávka Zámečníková, Serena Sáenz Molinero, Reinoud Van Mechelen, Gyula Orendt, Roman Trekel, Peter Rose, Michael Smallwood. Linard Vrielink, Arttu Kataja, Jan Martiník, Freiburger Barockorchester
Hippolyte et Aricie – sehen Sie hier den Trailer: