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Opern-Kritik: Staatsoper Berlin – Die lustigen Weiber von Windsor

Von Vorstadtweibern und Kettensägen

(Berlin, 3.10.2019) An der Staatsoper Unter den Linden gerät David Böschs Regie von „Die lustigen Weiber von Windsor“ so flach wie der Pool hinterm Haus, Daniel Barenboim hält am Pult wacker dagegen.

vonJoachim Lange,

Als Spielzeitauftakt am Nationalfeiertag ausgerechnet die komisch-phantastische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai anzusetzen, wie jetzt die Staatsoper Berlin, darauf muss man erst mal kommen. Die Deutsche Oper an der Bismarckstraße hatte mit Frank Castorf und einem Verdi auf Kontroverse gesetzt. Nebenan an der Komischen Oper wird Barrie Kosky mit Hans-Werner Henzes „Bassariden“ betont ambitioniert ins Rennen gehen. Immerhin ist Nicolais populärste Oper 1849 im Haus Unter den Linden vom Komponisten selbst uraufgeführt worden. Da war er Hofkapellmeister, hatte aber nichts mehr davon, da er im gleichen Jahr starb.

Unterschichtenfernsehen mit Musik

Michaela Schuster (Frau Reich), René Pape (Sir John Falstaff) und Mandy Fredrich (Frau Fluth)
Michaela Schuster (Frau Reich), René Pape (Sir John Falstaff) und Mandy Fredrich (Frau Fluth)

David Bösch (Regie), Partick Bannwart (Bühne) und Faldo Herold (Kostüme) meiden jetzt jeden Verdacht einer historisierenden Anspielung. Schon gar nicht auf die revolutionär rumorende Zeit der Uraufführung. Sie bleiben mit ihrer Verortung in der Erinnerungs-Reichweite ihres Publikums und landen in einer etwas runtergekommenen Vorort-Siedlung mit Einfamlienhäusern im Bungalowstil, auf die sich trefflich von oben herabschauen lässt. Die ganze Veranstaltung hat etwas von Unterschichtenfernsehen mit Musik. Die Terrassen zwischen den baugleichen Häusern der Familien Fluth und Reich liegen so dicht nebeneinander, dass auch ein Lattenzaun nicht für Privatsphäre sorgt. Dafür wird er zur Vorlage für den metaphorischen Kalauer, dass die Herrschaften am Ende nicht mehr alle Latten am Zaun haben. Der dauerwütende und eifersüchtige Herr Fluth hat eine halbwegs einsatzbereite Kettensäge, mit der er ohne Bedenken in den Waschkorb (der hier zum fahrbaren Bottich mutiert) fährt, als er dort den Freier seiner Frau vermutet.

Frau Fluth und ihre Nachbarin Frau Reich – beide optisch Marke schrecklich nette Vorstadtweiber aus einer zum x-ten mal wiederholten Dutzend-Comedy-Serie – machen sich, vermutlich aus Langeweile, neben Wäschespinnen und mobilen Grills, auf ihren Einheitsplastikstühlen zwischen zwei Kippen, einem Sektchen oder einer runde Tratsch am altmodischen Handy mit Antenne, einen Jux daraus, den dicken Falstaff zu veralbern. Um bei der Gelegenheit die pathologische Eifersucht von Herrn Fluth bloßzustellen. Wobei der sich gleich zweimal ziemlich einfach austricksen lässt. Ihn hätte schon der Bottich, der da vor seinen Augen von zwei Möbelpackertypen Richtung Themse gerollt wird, stutzig machen müssen. Spätestens aber Falstaffs zweite „Flucht“, als Frau Reich den Dicken zur krächzenden Mume verkleidet und Fluth ihm obendrein ziemlich nahe kommt. Hinter den Häusern gibt es einen Pool und Sauf-Trichter und eine grölende Mannschaft von Ballermann-Kumpanen. Da schwingt beim Hit „Als Büblein klein an der Mutterbrust“ und dem garnierenden Grönemeyer-Zitat über die Männer fast schon Melancholie mit.

Secondhand-Romantik mit lediglich bedingter Komik

Pavol Breslik (Fenton) und Anna Prohaska (Jungfer Anna Reich)
Pavol Breslik (Fenton) und Anna Prohaska (Jungfer Anna Reich)

Zum letzten Akt gibt es einen bühnenfüllenden, gestochen scharf fotografierten Riesenmond im Hintergrund. Für den Rest der Secondhand-Romantik sorgen die Wäschespinnen. Ein kleines Geweih für Falstaff findet sich. Die beiden Freier der wunderbar koloraturleichten Anna Reich alias Prohaska, David Oštrek als der Franzose Dr. Cajus und Linard Vrielink als Holländer Spärlich, spielen sprachlich mit ihren Nationalitäten. Einmal deutet sich an, dass die Regie für die beiden ein „Und-das-ist-auch-gut-so“-Happyend vorsieht, was sie dann auf hohen Hackenschuhen und in schicken Kleidern ausführlich am Rande zelebrieren. Mit welchem Klischee da wirklich gespielt wird, lassen wir mal lieber beiseite.

Was David Bösch hier ablaufen, vor allem aber auch allzu oft einfach nur rumstehen lässt, ist alles ziemlich vorhersehbar und auch nur bedingt wirklich komisch. Man muss sich schon amüsieren und lachen wollen. Ein erheblicher Teil des Publikums wollte. Und weil ja die Vorlage von William Shakespeare stammt, haben die flippige Anna und ihr tatsächlicher Lover dessen „Romeo und Julia“ dabei. In Englisch versteht sich. Pavol Breslik spielt den Fenton in Jeans und Parka großartig leichtfüßig und singt ihn obendrein strahlend. Dass am Ende eigentlich der Sommernachtstraum Urstände feiern könnte, ahnt man im Aufmarsch der Chormassen, die obendrein nicht ihren besten Tag hatten, nicht mal ansatzweise. Anspielungen wie die auf Grönemeyer oder die Fledermaus sind Scherze von eher kleiner Münze. Aber es wird eh immer der unmittelbar in der Gegend rumliegende Kalauer mitgenommen, und wenn‘s die Gurke für die schwangere Frau Fluth (hinreißend Mandy Fredrich) oder die Fußraspel für Frau Reich (Michaela Schuster in Hochform!) sind.

Zwei der größten Wagner-Recken auf herrlich komischen Abwegen

Schwer zu sagen, ob die Frauen von Windsor im Moment Gründe haben, lustig zu sein. Und auch, wen sie wohl am liebsten bei einem nächtlichen Spektakel piesacken würden. Kandidaten gäbe es. Aber auch das, was Frau Fluth und Frau Reich mit dem dicken Falstaff von nebenan so treiben, ist ja eigentlich nicht wirklich nur lustig, hat zumindest einen doppelten Boden. Zumindest, wenn man Sir John ernst nehmen würde. Aber bei Bösch ist er das nicht mal ansatzweise. Der ist nur aus dem Leim gegangen. Es ist ein Meisterwerk der Maske, ausgerechnet René Pape so zu verunstalten, dass man schon Röntgenaugen haben müsste, um da noch den attraktiven Mann oder auch nur dessen Legende zu erkennen. Fluth muss schon tatsächlich so dämlich sein, wie ihn der Erzkomödiant Michael Volle hier grandios ausspielt, um auf den eifersüchtig zu sein. Vor einem Widergänger dieses Falstaff würde jedenfalls nicht nur im wirklichen Leben jeder auf Distanz gehen. Auch auf der Bühne käme der wohl nicht über die Schwelle der so waschfreudigen Windsorer Hausfrauen.

Vokaler und orchestraler Staatsopernluxus pur!

René Pape (Sir John Falstaff) und Staatsopernchor
René Pape (Sir John Falstaff) und Staatsopernchor

Kurzum: Was sich hier als komisch und hintergründig ausgibt, ist eher albern und so flach wie der Pool hinterm Haus. Dabei gibt es im Repertoire der Staatsoper ja auch noch die große „andere“ musikalische Verarbeitungsstufe dieser Shakespearevorlage: Verdis altersgenialen „Falstaff“. Und da ist Michael Volle der grandiose Sir John. Dass er jetzt mit komödiantischem Feuereifer und stimmlicher Pracht den eifersüchtigen Herrn Fluth gibt und René Pape einen mordsmäßigen Wanst und seine grandiose Stimme als Sir John zur Schau trägt, das ist wenigstens musikalisch und für sich genommen eine Sensation. Wenn Fluth als Sir Bach bei Sir John die Verführung der eigenen Ehefrau in Auftrag gibt, um ihn und seine Gattin vorzuführen, dann ist das ein vokaler Höhepunkt. Ein Gipfeltreffen von zwei der Besten ihres Faches. Beide bestechen mit vollem Timbre, kultivierter Eloquenz und scheinbarer Mühelosigkeit – Staatsopernluxus pur! Vom Graben aus lieferten den auch Daniel Barenboim und die Staatskapelle. Sie kommen mit der Musik dem populären Stück aus ferneren Zeiten gefühlt näher, als es Bösch mit der Szene gelingt.

Staatsoper Berlin
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor

Daniel Barenboim (Leitung), David Bösch (Regie), Patrick Bannwart (Bühne), Falko Herold (Kostüme), Michael Bauer (Licht), René Pape, Michael Volle, Wilhelm Schwinghammer, Pavol Breslik, Linard Vrielink, David Oštrek, Mandy Fredrich, Michaela Schuster, Anna Prohaska, Staatsopernchor, Staatskapelle Berlin

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