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Opern-Kritik: Staatsoper Berlin – Die Frau ohne Schatten

Gehemmte, traurige Seele

(Berlin, 9.4.2017) Claus Guth betreibt Traumdeutung, Zubin Mehta liefert ein vordergründiges Fresko von Freuds Trieblehre

vonRoland H. Dippel,

Als Eröffnung der Festtage 2017 kam an der Staatsoper im Schillertheater Claus Guths bereits an der Mailänder Scala (2012) und am Royal Opera House Covent Garden in London (2014) gezeigte Produktion der „Frau ohne Schatten“ heraus. Das von Richard Strauss so bezeichnete „Schmerzenskind“ hat eine starke Anhängerschaft, die sich von den silbrigen Geistertönen und stratosphärischen Orchesterklängen zu Hugo von Hofmannsthals symbolreichem Läuterungsspiel lustvoll narkotisieren lässt. Viele Fragen an dieses Märchen für Erwachsene müssen offen bleiben, letztlich ist es inkommensurabel wie Goethes „Faust“. Deshalb zeigt ein gedankenreicher knapper Sieg wie in Berlin weitaus mehr Mut als die Flucht in spektakuläre Fantasy.

Analytisch gebrochenes Märchenspiel von einer, die auszieht, das Fühlen zu lernen

Auch um mehr als glitzernde Welten des Orients geht es in den gerundeten hölzernen Wänden Christian Schmidts und im immer wieder verdoppelten oder geteilten Bett der Zentralfigur. Claus Guth und sein langjähriger Ausstatter weiten die Suche der Kaiserin nach einem Schatten, dem Symbol menschlicher Bereitschaft zu Mutterschaft und wahrer Beziehungsfähigkeit, in eine psychoanalytische Fallstudie. Der Ausgang des im Traum stattfindenden Bewältigungsversuches bleibt ungewiss. Die Szene verbreitert alle Stationen von Hofmannsthal komplizierter Dichtung mit weiteren abgründigen Analogien. Auf der Suche nach eigener Identität und Empfindungskraft wird die Kaiserin mit Parallelfiguren zu ihrer Person konfrontiert.

Szenenbild aus "Die Frau ohne Schatten"
Die Frau ohne Schatten/Staatsoper im Schiller Theater © Hans-Jörg Michel

Barak und seine Frau sind Spiegelungen ihrer eigenen Beziehung zum Kaiser. Dieser ist Abziehbild ihres Vaters Keikobad, deshalb Liebesobjekt und autoritärer Verhindernder zugleich. Im hymnischen Schlussjubel erwacht die Kaiserin aus ihrem Traum – und es bleibt offen, ob sie erstarken kann. So entzaubern Guth und Schmidt die märchenhafte Aura dieser Oper. Die Mondberge des Geisterreichs werden zu Requisiten in Interieurs, die das frühe 20. Jahrhundert meinen. Immer scheint die Musik voller Verheißungen für die Titelfigur, die auszieht, das Fühlen zu lernen. Wunderschöne Tiermasken von Gazelle, Falke und Hirsch bewahren die Rätselhaftigkeit des Sujets.

Triebgesteuerte Orchesterpower

Der Schlussjubel überkleistert kaum eingestandene Ratlosigkeit und feiert nach dieser Demontage trotzdem die Freude am schönen Schein. Lustbetont-brillant gibt sich die Staatskapelle über drei Stunden und wird von Zubin Mehta dazu äußerst plakativ befeuert. Die Musik klingt hochtourig wie die volle Farbskala eines verpixelten Porträts, auf dem weder ein Gesicht und schon gar nicht dessen emotionaler Ausdruck erkennbar sind. Der Aufriss dieser auf der Bühne versachlichten „Traumdeutung“ Sigmund Freuds findet also im Graben seine Entsprechung und übersättigte Vollendung: Zubin Mehta liefert ein vordergründig glanzvolles Fresko von Freuds „Trieblehre“, die Fragen nach dem „Unbehagen in der Kultur“ interessieren den dynamischen Altmeister aber merkbar weniger.

Standfestes Männerdoppel

Dabei gibt es in Claus Guths versachlichtem Ausnahmezustand und Christian Schmidts symbolischer und von Tänzen belebter Tiermenagerie ein vokales Glanzterzett, bei dem man im Glücksrausch schwelgen und beseligt mitleiden darf. Überdeutlich geraten die Frauen hier in eine beabsichtigte Vorteilstellung. Wolfgang Koch als Barak weidet den Kadaver der Gazelle, schamanisch-archetypisches Zwillingswesen der Kaiserin, aus, und Burkhard Fritz steht da als fordernder Liebhaber ohne Zartgefühl und autoritative Vater-Projektion, die persönliche Nähe verhindert. So wird deutlich, warum die Frauen leiden: Das einzige weichere Holz neben diesem groben Doppel ist Roman Trekel, als Geisterbote ein rebellischer Cherubim vor dem Höllensturz mit dunklen Flügeln. Er empfiehlt sich als zukünftiger Barak für eine „Frau ohne Schatten“-Deutung, die vielleicht dereinst untersuchen wird, was da den Männern widerfährt.

Szenenbild aus "Die Frau ohne Schatten"
Die Frau ohne Schatten/Staatsoper im Schiller Theater © Hans-Jörg Michel

Triumphales Frauen-Trio

Zum ersten Mal singt Camilla Nylund die Kaiserin, makellos und emotional zutiefst bewegend. Alle Sympathien fliegen ihr sogar noch dann zu, wenn sie auf den Raub des Schattens lauert und ihr dabei ein begehrlicher Dämon im Auge blitzt. Dieses Verströmen von Wohlklang und Wärme mit unübertreffbarer Tonsicherheit bis in die höchsten getragenen Lagen ist der Höhepunkt des Abends. Die ihr mit „wölfischer Liebe“ anhängende Amme wird zur mephistophelischen Aufpasserin mit rotem Schopf. Michaela Schuster bewegt sich glatt, unnahbar und mit gleißender Diktion durch die Abgründe der Rolle. Diese Frau hält Abstand zu allem und allen. Unabhängigkeit und selbstentschiedene Herzensbindung gerinnen in ihrer Darstellung zu Kälte, die immer wieder hinter ihrer kabarettistischen Nonchalance aufscheint. Neben diesen beiden konträren Charakteren macht Claus Guth mit Iréne Theorin aus der erst unwillig verdrossenen und später wahrhaft liebenden Frau des Färbers eine Sympathieträgerin. Sie durchmisst als von der Kaiserin phantasierte Zwillingsfigur all das, was die in ihrer Persönlichkeit eingemauerte Kaiserin nicht wagen kann und doch ersehnt.

Das hat Auswirkungen auf die musikalische Gestaltung: Iréne Theorin stellt ihre unerschöpfliche vokale Kondition ganz in den Dienst eines schon telepathischen Schwingungsverhältnisses zu Camilla Nylund. Mit diesem starken Band steht und fällt die ganze Aufführung, Zubin Mehtas Orchesterorkan, Christian Schmidts fantasiereiche Tiermasken und Claus Guths auf Hofmannsthals Faszination für Freud gesetzte Konzeptarchitektur. Der Vorhang fällt, viele Fragen bleiben offen – und einmal mehr ist man den offenen Rätseln, dem Sinn und Gehalt dieses Musikdramas keinen Schritt näher als davor. Der Sieger in diesem Kampf von Werk und Wiedergabe bleibt in diesem Fall wohl immer das Werk, sogar im Idealfall seiner allersensibelsten und durchdachtesten Deutung.

Staatsoper Berlin im Schillertheater
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten

Zubin Mehta (Leitung), Claus Guth (Regie), Christian Schmidt (Bühne & Kostüme), Zenta Haerter (Choreografie), Olaf Winter (Licht), Andy A. Müller (Video), Ronny Dietrich (Dramaturgie), Burkhard Fritz (Kaiser), Camilla Nylund (Kaiserin), Michaela Schuster (Amme), Wolfgang Koch (Barak), Iréne Theorin (Frau), Roman Trekel (Geisterbote), Karl-Michael Ebner (Buckliger), Alfredo Daza (Einäugiger), Grigory Shkarupa (Einarmiger), Jun-Sang Han (Jüngling)

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