Es sieht düster aus im Krankenzimmer des Prinzen. Woran er nicht alles laborieren will: Rücken, Niere, Magen, Migräne. Es ist schon eine vermaledeite Krankheit, diese „hypochondridiotische Verschleimung“. In Wahrheit ist er schwer depressiv, kann vor lauter Lebensmüdigkeit kaum aufstehen und soll doch die Thronfolge seines Vaters König Treff antreten. Verzaubert von den Neidern seiner bevorstehenden Hofkarriere erbricht er zu allem Überfluss schlechte Lyrik. Was also tun?
Geheilt werden kann der Prinz nur, wenn er lacht. Herkömmliche Spaßmacher richten’s nicht – Schadenfreude schon: Kaum ist die böse Hexe Fata Morgana die Treppe hinuntergesegelt, hebt sich die Stimmung des Nachwuchsmonarchen, aber die Hexe rächt sich und schickt ihn, verliebt in drei Orangen, in die Wüste. Den Zitrusfrüchten entsteigen schöne Prinzessinnen, von denen zwei auf der Stelle verdursten und nur die dritte des Prinzen Herz erobert. Nach einigen Irrungen und Wirrungen siegt die Liebe, und das Böse verschwindet durch eine Falltür unter die Bühne.
Prokofjew, das jugendliche Genie
Sergej Prokofjew war gerade mal 28, als er – nach der Oktoberrevolution über Japan in die USA emigriert – sein sarkastisches Märchen „Die Liebe zu den drei Orangen“ nach einer italienischen Commedia-dell‘-arte-Vorlage Carlo Goldonis komponierte. Dank seines früh erkannten Talents war die Groteske indes bereits seine siebte Oper und wurde als Auftragswerk 1921 in Chicago uraufgeführt. Prokofjew hatte sich also – auch als Pianist – schon einen Namen gemacht und kehrte doch 1936 in die nun sowjetische Heimat zurück, aus der der begnadete Gutsverwaltersohn einst vor den Bolschewiken geflohen war.
Die Widersprüchlichkeit in Prokofjews Biografie, der auf jeden Fall musikalischer Erneuerer, politisch aber sowohl Opportunist wie auch Verfolgter war, spiegelt sich deutlich in seinen Werken, schon zu Beginn seiner Karriere. In der nur zwei Jahre vor den „Orangen“ uraufgeführten ersten Sinfonie zeigte sich bereits der satirisch-angriffslustige Widerspruchsgeist des Komponisten, der aus den Brüchen seiner Zeit ein Gutteil seiner Kreativität gerann. Das gilt insbesondere für diese angebliche Märchenoper, die mit cineastisch knapp geschnittenen Szenenfolgen die groteske, ja absurde Handlung vorantreibt. Mit einer Unmenge an satirischen Zitaten und Anspielungen ist sie natürlich auch als ironischer Seitenblick auf eine Welt zu lesen, die nach dem Zusammenbruch der Monarchien, nach Weltkrieg und Revolutionen aus den Fugen geraten ist.
Regie-Behauptung im Programmheftinterview
In der neuen Dresdner Inszenierung des kasachischen Regisseurs Evgeny Titov ist davon kaum etwas zu sehen. Er konzentriert sich auf das eingebildete und zugleich reale Krankheitsbild des Prinzen: Die Regie prädefiniert es mit Bühnenbildner Wolfgang Menardi schon in der ersten Szene mit einem pathologischen MRT-Bild über dem Krankenhausbett – wobei ein Tumor mit einer Depression wohl recht wenig zu tun hat. Die erst durch die Liebe eliminierte Leere in Kopf und Sinn des Prinzen bleibt indes eine Behauptung im Programmheftinterview, wirklich erzählt wird sie nicht.
Auf der Semperbühne regieren Slapstick, müde Stroboskop- und Pyrotechnikeffekte in einer nahezu buchstäblichen Gegenständlichkeit, wo man mehr Abstraktion und Deutung erwarten müsste. Die großen Massenpartien – wie in der „Commedia“ auch von außen her kommentierend – mögen sängerisch beim Staatsopernchor in guten Händen liegen; szenisch hingegen muss ihr karikierendes, dramaturgisch weit ausdifferenziertes Potenzial zwischen „Sonderlingen“ und „Hohlköpfen“ aber als verschenkt gelten. Da helfen auch die lackglänzenden Kostüme aus der Werkstatt Emma Ryotts nichts.
Glanzpunkte im Ensemblestück
In der Solistenschar dieses klassischen Ensemblestücks gibt es dafür einige Glanzpunkte, allen voran Starbassist Georg Zeppenfeld als tumb-ältlicher König, dessen satirische Fähigkeiten angesichts seiner heroischen Wagnerrollen bislang eher unentdeckt waren. Auch die teilweise sehr undankbaren Frauenrollen – so haben die ersten beiden Orangenprinzessinnen nur einige Takte zu singen – sind durchweg exzellent besetzt, wobei insbesondere Flurina Stucki als Fata Morgana und Jasmin Delfs als Prinzessin Ninetta und Herzensdame mit stimmlichen Glücksmomenten hervortreten.
Demgegenüber bleibt Tenor Mauro Peter in der Hauptpartie des Prinzen gerade in der fraglos herausfordernden Höhe einiges schuldig, wobei unklar bleibt, ob seine regelmäßigen Falsettierungen Stilmittel sein sollen oder Sparsamkeit. Als szenisch regelrechtes Ärgernis muss indes die fast schon homophob-pinke Karikatur der Köchin gelten, die von Prokofjew zwar komödiantisch als Schwarzbass angelegt ist, aber nicht als hämisch beklatschte Tunte. Taras Shtonda gelingt sängerisch gleichwohl eine ernstzunehmende Interpretation.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden brilliert
Nichtsdestoweniger darf die Neuinszenierung als vielversprechender Erfolg gelten, das Publikum amüsiert sich königlich. Und die eigentlichen Qualitäten des Stücks, das eben weit mehr ist als nur eine absurde Komödie, liegen ja in der Partitur. Von Erik Nielsen äußerst frisch angetrieben, ist es vor allem die Sächsische Staatskapelle, die den jähen Temposprüngen, der schillernden Orchestrierung mit ihren göttlichen Bass-Ostinati und den flinken Registerwechseln zwischen Lyrik und Satyrspiel ihren Meisterstempel aufdrückt. Wer an klassischer Moderne seine Freude hat und wach zuzuhören vermag, wird von diesem unglaublich vielseitigen Orchester immer wieder beglückend überrascht. Schon deswegen lohnt sich der Ausflug nach Dresden.
Semperoper Dresden
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen
Erik Nielsen (Leitung), Evgeny Titov (Regie), Pim Veulings (Choreografie), Wolfgang Menardi (Bühne), Emma Ryott (Kostüme), Fabio Antoci (Licht), Jonathan Becker (Chor), Benedikt Stampfli (Dramaturgie), Georg Zeppenfeld, Mauro Peter, Nadezhda Karyazina, Neven Crnić, Aaron Pegram, Danylo Matviienko, Alexandros Stavrakakis, Flurina Stucki, Michal Doron, Valerie Eickhoff, Jasmin Delfs, Taras Shtonda, Tilmann Rönnebeck, Georgina Fürstenberg, Gerald Hupach, Sächsische Staatskapelle Dresden, Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Termintipp
Mi, 11. Dezember 2024 19:00 Uhr
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen
Georg Zeppenfeld (König Treff), Mauro Peter (Prinz), Nadezhda Karyazina (Prinzessin Clarisse), Neven Crnić (Leander), Erik Nielsen (Leitung), Evgeny Titov (Regie)
Termintipp
So, 15. Dezember 2024 19:00 Uhr
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen
Georg Zeppenfeld (König Treff), Mauro Peter (Prinz), Nadezhda Karyazina (Prinzessin Clarisse), Neven Crnić (Leander), Erik Nielsen (Leitung), Evgeny Titov (Regie)
Termintipp
Mi, 18. Dezember 2024 14:00 Uhr
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen
Georg Zeppenfeld (König Treff), Mauro Peter (Prinz), Nadezhda Karyazina (Prinzessin Clarisse), Neven Crnić (Leander), Erik Nielsen (Leitung), Evgeny Titov (Regie)
Termintipp
Fr, 20. Dezember 2024 19:00 Uhr
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen
Georg Zeppenfeld (König Treff), Mauro Peter (Prinz), Nadezhda Karyazina (Prinzessin Clarisse), Neven Crnić (Leander), Erik Nielsen (Leitung), Evgeny Titov (Regie)
Termintipp
Do, 02. Januar 2025 13:00 Uhr
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen
Georg Zeppenfeld (König Treff), Mauro Peter (Prinz), Nadezhda Karyazina (Prinzessin Clarisse), Neven Crnić (Leander), Erik Nielsen (Leitung), Evgeny Titov (Regie)