Mariss Jansons ist Huldigungs-Applaus gewöhnt. Den spendet auch das Salzburger Festspielpublikum zuverlässig, wenn der sensible, penible Dirigent zum Pult schreitet oder beim Schlussapplaus auf die Bühne kommt. Selbstverständlich stieg auch nach der jüngsten Premiere von Peter Tschaikowskys „Pique Dame“ im Großen Festspielhaus der Lautstärke-Pegel noch einmal deutlich an, als er auf die Bühne kam, um für die fabelhaften Wiener Philharmoniker und sich selbst die einhellige Zustimmung des Publikums entgegenzunehmen.
Aus seiner Affinität zu Tschaikowsky macht der Lette nicht nur verbal keinen Hehl, er stellt sie immer wieder unter Beweis. Von Amsterdam, wo er mit dem Concertgebouw Orchester zu Stefan Herheims turbulenter „Pique Dame“ -Inszenierung vor zwei Jahren begeisterte. Bis Salzburg, wo er jetzt auch aus den Wiener Philharmonikern so etwas wie ihre russische Seele herauskitzelte. Und erstaunlich viel Mozart, wofür Salzburg als der Ort der Aufführung wohl auch besonders hellhörig macht. Mariss Jansons entfaltet den europalastigen, aber doch eindeutig russischen Ton gleichsam großformatig und nach außen und ließ sich auch Intimeres mindestens auf Ballsaalniveau entfalten, ja machte die Musik in ihren wechselnden Stimmungslagen zu einem opulenten Fest. Dadurch wurde die atemberaubende Stille und der Moment von Nähe bei Hermanns Eindringen ins Zimmer der Gräfin (für das sich auch der Bühnenraum einmal verkleinert) zum Höhepunkt des Abends.
Subtile Ambivalenzen in Tschaikowskys „Pique Dame“
Von ihr will Herrmann ja das Geheimnis der drei Karten erfahren, mit denen er sich das Geld verschaffen will, um deren Enkelin Lisa heiraten zu können. Diese Szene imponiert auch wegen des Zusammenspiels der phänomenalen, von zarter Zerbrechlichkeit zum Tode hin aber mit imponierender vokaler Präsenz und Gestaltung gezeichneten Gräfin von Hanna Schwarz (74) und des stürmischen, virile Männlichkeit – mit nackter Brust und meist offener Uniformjacke – ausstellenden Brandon Jovanovich als Herrmann. Die Ambivalenz, die die beiden aufeinander zu und in die Katastrophe treibt, hat Neuenfels geradezu zärtlich subtil herausgearbeitet.
Der Regie-Revoluzzer von einst, Hans Neuenfels, will nicht mehr verbiegen und provozieren
2001 hatte Neuenfels (der heute 77-jährige war damals noch ganz der notorische Provokateur) das Festspielpublikum zur Weißglut gebracht. Aber auch er ist längst bei einem Altersstil angekommen, der ganz offensichtlich vor allem auf den Kern der Werke gerichtet ist, noch konsequenter und klarer als früher schon ihre verborgenen Ebenen offenlegen, verdeutlichen und ins Psychologische treiben aber keinesfalls – und dann womöglich auch noch politisch plakativ – verbiegen will.
Verfremdete Verdeutlichungen
Zusammen mit seinen Mitstreitern Christian Schmidt (Bühne) und Reinhard von der Thannen (Kostüme) hat er seinen letzten eher kühl analysierenden und einzelne Akzente setzenden Inszenierungen eine weitere im Großformat hinzugefügt, ohne sich in schmerzfreie Unverbindlichkeit davonzustehlen. Sicher kann man auch an Putins inszenierte Auftritte im goldenen Glanz des Kremels denken, wenn Fürst Jelezki im zaristischen Uniformputz hübsch symmetrisch mit Lisa an der Seite ein Spalier durchschreitet. Man muss aber nicht. Der wie gekachelt ausgekleidete, geschwungene Einheitsraum erinnert an ein Casino oder Ballsaal. Füllt aber gekonnt und ohne Klimmzüge die Riesenbühne. Hier verfremdet Neuenfels seine Verdeutlichungen allemal soweit, das sie zur Kunst werden und als solche Assoziationen ins Politische oder Gegenwärtige hervorrufen. Das Spiel mit der Tier-Metaphorik wird zur Andeutung verfeinert.
Auch das, was er mit seinen0 Bienen im Berliner „Nabucco» einst provozierend einführte, und dann im Bayreuther „Lohengrin“ mit brabantischen Ratten auf einen Kulturhöhepunkt getrieben hat, nämlich das Spiel mit der Tier-Metaphorik, findet sich in den Kostümen der feinen Gesellschaft angedeutet. Es ist eine offensichtlich formierte Gesellschaft, die notwendigerweise auch etwas von einer uniformierten Gesellschaft hat. Da bestimmt allenfalls Schwarmintelligenz und nicht individueller Wille die Bewegungen. So werden Chöre zu Tableau-Metaphern, die man auch einfach rein- und rausmarschieren oder fahren lassen und auf stilisierte Bewegungen beschränken kann. Das gilt für alle Facetten der Gesellschaft. Uniformmützen mit Federschmuck in düsterem Grau-Schwarz. Der große Auftritt der Zarin ist da konsequenterweise eine Alptraum-Vision des leibhaftigen Todes.
Aus diesem düster dräuenden Dunkel der Farbästhetik fallen nur die beiden Außenseiter, der rot uniformierte Hermann und die Gräfin in ihrem grünen Kleid, heraus. Wenn Lisa in den Tod geht, öffnet sich im Hintergrund der geschwungenen, gekachelten Salonwand ein gleißend heller, schmaler Spalt, auf den sie zugeht. Und Herrmann versinkt nach seinem Selbstmord auf dem grünen Spieltisch – so wie Don Giovanni – in die Hölle. In einer anderen Welt begegnen dürften die sich nicht. Grandios die Chöre (um die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor herum) und das festspielwürdige Ensemble.
Ein festspielwürdiges Ensemble
Von Neuenfels mit einer geradezu klassischen Klarheit umgeben, können sich alle Protagonisten profilieren. Als Lisas Verlobter Fürst Jeleziki lässt sich Igor Golovatenko natürlich die Chance nicht entgehen, mit seinen an den Fürsten Gremin aus „Eugen Onegin“ erinnernden Auftritt abzuräumen. Evgenia Muraveva ist eine hochsolide Lisa. Auch den übrigen Protagonisten gelingt es, die Figuren um Hermann und Lisa mit Profil auszustatten. Das Publikum applaudierte geschlossen für alle – ohne vor lauter Enthusiasmus das Ende des Abends aus dem Auge zu verlieren.
Salzburger Festspiele
Tschaikowsky: Pique Dame
Mariss Jansons (Leitung), Hans Neuenfels (Regie), Christian Schmidt (Bühne), Reinhard von der Thannen (Kostüme), Brandon Jovanovich (Hermann), Vladislav Sulimsky (Graf Tomski & Plutus), Igor Golovatenko (Fürst Jelezki), Evgenia Muraveva (Lisa), Oksana Volkova ( Polina & Daphnis), Hanna Schwarz (Gräfin), Alexander Kravets (Tschekalinski), Stanislav Trofimov ( Surin), Gleb Peryazev (Narumow), Pavel Petrov (Tschaplizki), Margarita Nekrasova (Gouvernante), Oleg Zalytskiy (Zeremonienmeister), Vasilisa Berzhanskaya (Mascha), Yulia Suleimanova (Chloe & Prilepa), Imola Kacso, Márton Gláser & Juan Aguila Cuevas (Schäferspiel), Wiener Philharmoniker