Er ist ein Geldschrank von Mann. Gern würde Frau ihn knacken und sein Innerstes nach Außen kehren. Doch sein Panzer hält. Er scheint undurchdringlich, hart wie Kruppstahl. Und ob der Inhalt wirklich begehrenswert ist, bleibt fraglich. Denn vermutlich sind die Verkrustungen seiner Seele schlimmer, als Frau, La Signora Desdemona, sich in ihren Alpträumen vorstellt. Otello ist ein hoffnungsloser Fall. Die Liebe zwischen ihm und seiner Frau hat weder Gegenwart noch Zukunft.
Otello: Lieben im Imperfekt
Das macht bereits Arrigo Boito zu Beginn der Oper wunderbar deutlich – im Liebesduett, dessen Text der grandiose Librettist (und Komponist aus eigenem Recht) Verdi gleichsam diktiert hat. „E tu m’amavi per le mie sventure, ed io t’amavo per la tua pietá“ („Du liebtest mich für meine Leiden, ich liebte Dich für Dein Mitleid“) Das Imperfekt als Zeitform dieser Beziehung heißt eben auch: Diese Liebe ist alles andere als perfekt, sie war von jeher mehr die sehnsüchtige Erinnerung an etwas in dieser Welt Unmögliches, kaum aber ein verwirklichtes Gefühl. Diese Liebe ist längst nicht mehr, sie war.
Wie die Sängerbesetzung zum Regiekonzept wird
Das so unfasslich düstere, desillusionierende Meisterwerk des reifen Verdi beschloss nun Cristina Mutis ganz ihrem Landsmann gewidmete Trilogie in Ravenna. Und die Sängerbesetzung wird dabei geradewegs zum Regiekonzept. Der furchteinflößende junge Heldentenor des Mikheil Sheshaberidze ist in Gestalt und Stimme jener Schrank aus Stahl, den Desdemona nicht knacken kann. Nicht im klassischen Sinne schön ist diese Stimme, dafür enorm durchschlagskräftig und auf eine aufregende Art angeraut.
Klug gewählt ist Otellos bessere, seine weibliche Hälfte. Mal kein Unschuldsopran mit himmlisch schwebenden Piano-Höhen, sondern eine zwar mädchenschlanke junge Frau, deren Stimme freilich einige Schärfen mitbringt. Abgeschliffen an der harten Hülle ihres Mannes hat sich die Desdemona der Elisa Balbo also mitnichten. Sie kämpft für ihn und ihr starkes Gefühl für den schwarzen Außenseiter in der weißen venezianischen Mehrheitsgesellschaft. Und bezahlt mit ihrem Leben für diese unmögliche Liebe.
In Ravenna verdient Verdis spätes Meisterwerk die Umbenennung zu „Jago“
Ein Bösewicht von Weltformat trägt intrigante Sorge für das bittere Tragödienende aus Mord und Selbstmord. Luca Micheletti ist Ravennas Jago. Der attraktive junge Sänger ist der eigentliche Mittelpunkt der Aufführung und beglaubigt einmal mehr, dass der Komponist einst erwog, das Werk in Abwandlung von Shakespeares Vorlage in der Tat „Jago“ zu nennen.
Anders als selbst bedeutende Bariton-Vorgänger muss der Italiener in keiner Phrase den extra fiesen Vorzeige-Bösewicht aus dem Bilderbuch geben. Er versagt sich in Cassios Traumerzählung sogar die sonst übliche gefistelte Karikatur des angeblichen tenoralen Geliebten der Desdemona. Denn seine Textdurchdringung lebt ganz von ihrer Natürlichkeit. Da räumt ein ehrgeiziger junger Fähnrich cool seine Konkurrenten aus dem Weg, mit Charme und Intelligenz – und mit tödlichen Folgen. Selten geht ein Rollendebüt in der Oper so grandios auf. Cristina Mutis Talentschmiede erweist sich einmal mehr als Sprungbrett der Szene. Von dieser großen, wirklich kompletten sängerdarstellerischen Begabung werden wir noch hören.
Blackfacing ist hier noch erlaubt
Aktualisierungsmätzchen hat Signora Muti auch in ihrer „Otello“-Inszenierung nicht nötig. So naheliegend eine Übertragung gerade in den Zeiten der Flüchtlingskrise und seiner politischen Instrumentalisierungen in Italien auch liegen mag. Die Präsidentin des Ravenna Festivals belässt die Handlung im historischen Gewand der Renaissance. Da ist dann sogar das andernorts politisch so gar nicht mehr korrekte Blackfacing auf einmal wieder erlaubt. Der Georgier Mikheil Sheshaberidze als Otello wird also schwarz geschminkt. Warum eigentlich nicht? Und: Der italienischen Aufführungstradition folgend tritt Otello im vierten Akt zum Mord an Desdemona in einem schwarzen Wams auf.
Der herrlich artikulationspräzise Chor ist von fantastischer Prägnanz
Die Wucht dieses Abends ist schon zu Beginn enorm. Nicola Paszkowski entfesselt den Seesturm derart krass, dass das kleine Teatro Dante gleichsam in seinen Grundfesten erschüttert wird. Der herrlich artikulationspräzise Chor ist von fantastischer Prägnanz. Mit flotten Tempi treibt der Dirigent das Geschehen spannungsprall voran. Und Ravenna kann sich rühmen, den „Otello“ auf die Bühne zu bringen, um den derzeit die größten Opernhäuser, zumal auch jene im Mutterland der Gattung Oper, einen weiten Bogen machen. Denn Sänger der Titelpartie sind höchste Mangelware. Erinnerungen an den legendären Mario del Monaco kommen bei älteren Fans noch auf. Mutis Mut, den „Otello“ mit hochmotivierten wie kompetenten Nachwuchssängern zu wagen, wurde belohnt.
Große Pläne für 2019
Für die Herbst-Trilogie des Jahres 2019 hat Cristina Muti erneut große Pläne. Bellinis „Norma“, Verdis „La Traviata“ und Bizets „Carmen“ sollten dann zwischen dem 1. und 10. November erneut nicht nur italienische Melomanen, sondern gerade auch Opernfreunde aus dem Ausland anlocken.
Ravenna Festival
Verdi: Otello
Nicola Paszkowski (Leitung), Cristina Mazzavillanti Muti (Regie), Vincente Longuemare (Licht Design), Alessandro Lai (Kostüme), Mikheil Sheshaberidze, Luca Micheletti, Giuseppe Tommaso, Giacomo Leone, Ion Stancu, Paolo Gatti, Andrea Pistolesi, Elisa Balbo, Antonella Carpenito, Orchestra Giovanile Luigi Cherubini, Coro Lirico Marchigiano „Vincenzo Bellini“
Vorschau auf die Herbst-Trilogie des Ravenna Festivals 2019:
Norma: 1., 5. & 8.11.2019
La Traviata: 2., 6. & 9.11.2019
Carmen: 3., 7. & 10.11.2019