In der heutigen Zeit liegt es nahe, Giuseppe Verdis Nahostoper „Nabucco“ mal gar nicht als besseren Sandalenfilm zu inszenieren, mit einem zu Herzen gehenden Gefangenenchor und kollektiv himmelwärts gestreckten gläubigen Armen. Helen Malkowsky entscheidet sich bei den Opernfestspielen Heidenheim für eine radikal realistische Verortung im Heute, mit Videos von via Breaking News verbreiteten Raketenangriffen und brennenden Israelflaggen.
Die Medien verbreiten Propaganda und Fake News, heizen die Vorurteile an, gießen Öl ins real existierende Feuer des Krieges. Kollateralschäden des Krieges sind das Scheitern der babylonisch-hebräischen Liebe von Fenena und Ismaele. Der strenge Zacharias wird zum jüdischen Hassprediger. Und der in Arafat-Grün und von Anfang an in einen Rollstuhl gesteckte, also schon früh gebrochene assyrische Herrscher Nabucco nutzt die aufgeheizte Stimmung für seinen erbitterten Eroberungszug gegen das Volk Israel. Die Einteilung in Gute und Böse kann es hier längst nicht mehr geben.
Demagogie, Manipulation und Lügen sind auf allen Seiten gleich. Glaubenskriege sind die schlimmsten, weil sie tief sitzende Gefühle, Identitäten und Minderwertigkeitskomplexe wie Überlegenheitsmachismo allein destruktiv für sich zu nutzen wissen.
Interpretatorische Kollateralschäden des Regietheaters
Im übertragenen Sinne bringen solche Aktualisierungen des Regietheaters freilich auch andere, somit interpretatorische Kollateralschäden mit sich. Die genuine Stückdramaturgie und das darauf projizierte Zeitgeschehen kommen meist nur grosso modo zur Deckung, eine echte Verzahnung findet nicht statt.
Gibt man aber diese strenge Erwartungshaltung an absolute musikalisch-szenische Kongruenzen auf und starrt nicht mehr auf die Übertexte, sondern auf die intensiven Darsteller, wird der Abend zum spannenden Exempel eines brutalen Clash der Zivilisationen und Religionen. Zumal der wieder einmal grandiose Tschechische Philharmonische Chor Brünn eben nicht nur unerhört klangprächtig singt, hier spielt auch jeder einzelne Sänger gleichsam um sein Leben. Die großen Szenen des Kollektivs sind enorm präzise, in exakter Individualisierung ausgearbeitet.
Antonio Yang überzeugt als Nabucco
Sängerdarstellerisch hat Helen Malkowsky auch die Solisten geradezu entfesselt. Antonio Yang setzt seinen Prachtbariton als Nabucco mit sehr gutem Italienisch und exzellenter Phrasierung ein. Wenn er seinem vor Vokalkraft strotzenden Organ auch noch Piano-Zwischentöne beimischte, würde sein Nabucco uns nicht nur überwältigen, sondern auch tief berühren.
Ira Bertram geht als Monsterweib Abigaille mit vollem Risiko an stimmliche Grenzen, setzt eine aufregende Höhenschärfe ein, wechselt die Register mit Aplomb von der schrillen Höhe in die brustige Tiefe. Randall Jakobsh leiht seinen resonanzstark im Körper sitzenden wuchtigen Bass dem Zacharias.
Das Orchester erzählt von Verdis politischer Aggressivität
Sehr wohl abgestimmt auf den kriegerischen Impetus der Inszenierung schärft Marijn Simons am Pult der Stuttgarter Philharmoniker die Aggressivität der Partitur. Da darf es auch mal Knallen und Krachen. Und wir kapieren, wie wenig Verdi hier einem späten Wohlfühlbelcanto huldigt. Vielmehr kommt die Schärfe des politischen Furor des Komponisten gerade auch musikalisch prall zum Ausdruck.
Opernfestspiele Heidenheim
Verdi: Nabucco
Marijn Simons (Leitung), Helen Malkowsky (Regie), Harald B. Thor (Bühne), Cornelia Kraske (Kostüme), Hartmut Litzinger (Licht), Simon Yang, Ira Bertram, Katerina Hebelkova, Adrian Dumitru, Randall Jakobsh, Eva Bauchmüller, Christoph Wittmann, Stuttgarter Philharmoniker, Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Die Nabucco-Regisseurin Helen Malkowsky stellt sich vor: